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JANUAR

Mein Freund Zorn

Neulich habe ich einen Satz von Franz von Sales gelesen, der mich sehr gefreut hat: Keine Erde ist so dürr, dass sie durch die Güte nicht fruchtbar wird. Nach mehrfacher Wiederholung  (die Freude war echt groß), ist plötzlich eine meiner schönsten Erinnerungen in mir aufgetaucht. 

Es war ein kalter, aber recht schöner Wintertag. Das es schön war, habe ich erst später bemerkt, weil eigentlich meine innere Stimmung eine ganz andere Welt „gesehen“ hat: schwarze Wolken der Verzweiflung, riesige Steine des Zornes und eine glühende Wut. Warum?
Trotzt allen meinen Bemühungen ist schon wieder einiges schief gelaufen. Die verschiedenen Misserfolge habe ich in meinem Leben nie als Weltuntergang betrachtet, aber die Verachtung und Beschimpfungen, die ich oft dabei erleben musste, haben einen riesigen Zorn in mir geweckt.
Kurz - eine ganz schlimme Zeit.
Im Zimmer war es nicht so warm, deswegen habe ich mir eine Kanne heißen Tee gemacht. Auf dem Weg zum Schreibtisch, wo ich meinen Tee trinken wollte, habe ich kurz einen Blick in den Spiegel geworfen. Entsetzlich! Die Person im Spiegel war nicht zu erkennen. Ich kann das nicht erklären, aber plötzlich war neben mir eine solche Stille, die mir nur von meinen Bergwanderungen bekannt war. Die Stille, die einen umgibt, der einsam auf den Berggipfel hinaufsteigt. Es war still, aber ich spürte, dass noch jemand neben mir war. Er war es - mein Zorn. Ganz langsam habe ich meine Tasse, die ich in der Hand hielt, mit Tee gefüllt und eine komische Handbewegung gemacht, als ob ich ihn fragen würde - willst du mit mir trinken? Das Gesicht im Spiegel hat leicht gelächelt, was für mich eine Zusage bedeutete.
Wir haben uns hingesetzt und angefangen aus einer Tasse zu trinken. Sie war schnell leer. Bei der zweiten Tasse sind wir „gesprächiger“ geworden. Ein seltsames Gespräch war es. Ich glaube, zum ersten Mal habe ich versucht aufmerksam zuzuhören. Der Zorn hat mir klar gemacht, dass er in Wirklichkeit mein Freund ist. Wenn ich ihn nur wahrnehme, kann er für mich gute Dienste leisten. Wenn der Zorn, gut behandelt und gesteuert wird, kann er im menschlichen Leben eine wichtige Rolle spielen. Manchmal gibt er Kraft und Mut zu richtigem Handeln und Tun. Nicht umsonst reden wir von „heiligem Zorn“. Aber immer bietet er eine Möglichkeit zum Nachdenken und wenn nötig – zum Umkehren an. Gut, dass ich mich manchmal an dieses Erlebnis erinnere. Franz von Sales hatte recht: keine Erde ist so dürr … Auch das, was so „dürr“ (wie z. B. der Zorn) nach außen ausschaut, kann in Güte verwandelt werden. Wenn wieder ein neues Jahr beginnt will ich aufs neue aufmerksamer leben und vorsichtiger mit meinen Gefühlen umgehen. Dabei denke ich an meinen Freund Zorn, der mir noch diese kleine Geschichte überlasen hat:
Eine Gruppe Fallschirmspringer soll zum ersten Mal abspringen. Der Ausbilder bringt jeden Einzelnen von ihnen zur Luke und gibt ihm eigenhändig einen Schubs. Alles geht glatt, nur einer wehrt sich mit Händen und Füßen. Aber auch er muss hinaus. Im Hintergrund lacht jemand. Der Ausbilder dreht sich um und schnauzt ihn an: „Über einen solchen Feigling können Sie noch lachen?“ – „Feigling ist gut“, antwortet der Mann, „das war der Pilot“.
Wenn ein Mensch  seinen Zorn und seine Wut ungesteuert auslebt, wirft er den „Piloten“ aus seiner menschlichen Größe hinaus. Ich wünsche mir und allen die unterwegs mit ihrem „Piloten“ sind, in diesem Jahr glückliche „Landungen“ zu erleben. Gott möge die Reise mit seinem Segen begleiten.

Mit herzlichen Grüßen aus dem Kloster Zangberg
Eure
Sr. M. Agnieszka Kłos

 

 

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