Priester

Einige salesianische Gedanken zum Verständnis des Dienstes des Priesters in der Welt von Heute.


1.  Die Gnade des Dienens

flickr:priest

Der Priester besitzt in unserer Gesellschaft - vielleicht nicht mehr so viel wie früher - aber doch immer noch einen besonderen Status. Jedenfalls steht er laut Meinungsumfragen gleich nach dem Arzt an zweiter Stelle jener Berufe, die das höchste Ansehen unter den Menschen genießen. Der Herr Pfarrer, der "Hochwürden" hat doch immer noch etwas zu sagen. Und es gibt sicher Priester, in letzter Zeit wahrscheinlich wieder mehr, denen ihre Machtposition gar nicht so unangenehm ist. Im Gegenteil: Gerne lassen sie sich mit "Hochwürden" anreden. Mit Jesus Christus hat das aber nichts zu tun. Jesus ging es nicht um seine Machtposition, um sein Ansehen, ihm ging es um uns Menschen. Er fragte nicht: Was habe ich davon? Was springt für mich heraus? Er sagte nur: "Für Euch und für alle!" Er ließ nicht andere für sich sterben, er starb für die anderen. Das ist seine Alternative. Sie steht im Zeichen des Kreuzes. Die übliche, eigensüchtige Herrschaft im Streit um die Sprossenplätze auf der Leiter zur Macht ist durchkreuzt durch die Autorität des Dienens.
Unser Ordenspatron Franz von Sales pochte auch als Bischof nicht auf die Macht seiner Amtsautorität, sondern auf die Macht des Dienstes und der Liebe. Und so wünsche ich uns, dass wir als Priester nicht um unser Ansehen in der Gesellschaft bemüht sind, sondern darum, Diener der Menschen zu werden.

nach oben


2.  Die Gnade der Christusähnlichkeit

Diener der Menschen zu sein, schafft für den Priester ganz neue Verhältnisse. Priestertum hat nichts, aber auch gar nichts mit der Lebensweise auf einem hohen Ross zu tun. Auch die Priester, und natürlich auch die Bischöfe, haben wie alle Christen die Aufgabe Jesus ähnlich zu werden, der sich zum Sklaven der Menschen machte. Und wenn der Limburger Bischof Franz Kamphaus davon spricht, dass "die Krise des heutigen kirchlichen Lebens letztlich nicht auf den Anpassungsschwierigkeiten gegenüber unserem modernen Lebensgefühl, sondern auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber Jesus beruht," dann wünsche ich nicht zuletzt uns Priestern, dass wir seinen Appell stets ernst nehmen. Dieser Appell lautet: "Gleicht euch Jesus Christus an!" Konkret heißt das: Macht euch nicht auf die Suche nach Hochwürdens, Eminenzen oder Exzellenzen, sondern sucht jene Menschen, die auch Jesus suchte: die Versklavten, die Abgeschobenen, die Verzweifelten. Das hohe priesterliche Ross ist damit gestorben, verendet im Angesichte Jesu Christi.
Der hl. Vinzenz von Paul sagte über den hl. Franz von Sales: "Er war ein mitreißendes Abbild des Erlösers. Seine Lehre, die er aus dem Evangelium und seiner ständigen Vereinigung mit Christus geschöpft hat, führt zu einer echten Nachfolge des Erlösers." Ich wünsche uns daher als Oblaten, die wir den hl. Franz von Sales als unser Vorbild ansehen, und als Priester die Gnade der Christusähnlichkeit, damit wir unsere Aufgaben in dieser Welt wirklich erfüllen können.

nach oben


3.  Die Gnade der spirituellen Intelligenz

Die Verwirklichung der Botschaft Jesu erfordert sicherlich einen unheimlich starken Glauben, einen Glauben, den wir nicht durch unser Theologiestudium mit dem Erhalt des Magistertitels mitgeliefert bekommen. Um zu glauben, bedarf es nämlich nicht einer Hochschulintelligenz, sondern einer spirituellen Intelligenz. Diese spirituelle Intelligenz ist die Intelligenz der Armen. Sie ist jene Intelligenz, die man erhält, wenn wir so wie Christus zu Dienern der Menschen werden. Wenn wir Priester meinen, allein aufgrund unseres Studiums Spezialisten des Glaubens zu sein, dann irren wir gewaltig. Spezialisten des Glaubens sind allein diejenigen, die vielleicht studiert haben, aber nicht daran festhielten, sondern herabstiegen von ihrem hohen Gedankengebäude und sich ein hellsichtiges Wissen um das Elend der Menschen, im die Not der Welt aneigneten, in einem Wort: die Intelligenz der Armen. Und solche Menschen können dann auch faszinieren. Sie werden dann in dem, was sie predigen, tun und sagen, auch glaubwürdig, nicht aber aufgrund ihrer Titel, sondern aufgrund ihrer Christusähnlichkeit, weil durch sie Christus spürbar wird. Das meint auch der Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini, wenn er sagt: "Man muss anfangen zu dienen, seine Hilfe anbieten und sich die Hände schmutzig machen, bevor man das Wort Gottes weitergeben kann. Wer meint, das Wort mitteilen zu können, ohne zuvor den Armen und Kranken beigestanden zu haben, wird nie die Barmherzigkeit verstehen, die im Wort Gottes zum Ausdruck kommt. Es bleibt ein kulturelles Phänomen oder eine Prestigesache."
Diese Gnade der spirituellen Intelligenz, die Intelligenz der Armen wünsche ich uns, eine Intelligenz von der auch der hl. Franz von Sales geprägt war.

nach oben


4.  Die Gnade der Demut

Ich möchte noch einmal den Limburger Bischof Franz Kamphaus zitieren, der anlässlich einer Priesterweihe sagte: "Wenn ich vor einem, was die Entwicklung der Kirche betrifft, Angst und Sorge habe, dann ist das nicht so sehr allein, dass wir nicht genügend Priester hätten, obwohl ich mir mehr wünsche; nicht allein, dass wir mehr Menschen in unsere Gottesdienste bekommen, obwohl ich mir auch da mehr wünsche, nein, wenn ich mir Sorgen mache, dann ist es der Gedanke, dass wir eine perfekte Kirche werden, mit allen Raffinessen und modernen technischen Aparaturen, wo aber kein Spielraum mehr bleibt, dass ER - Jesus Christus - durchkommt." Und an die Weihekandidaten gerichtet, sagte er: "Gott erwählt uns nicht zu Priester, damit wir uns auf den ersten Plätzen breit machen, sondern damit wir das Geheimnis des letzten Platzes begreifen. Bei der Priesterweihe legen wir uns auf den Boden hin. Das sagt alles, das ist die Wahrheit über uns, das ist unser Platz." Die Demut gehört in der Lehre des hl. Franz von Sales zu den wesentlichen Tugenden des Christen, eine Tugend, von der er selbst reich beschenkt war. Uns wünsche ich die Gnade der Demut, damit wir die Menschen um uns wirklich verstehen lernen.

nach oben


5.  Die Gnade der Laien

Der französische Bischof Jacques Gaillot weist in seinen Ansprachen und Predigten ebenfalls immer wieder auf die Tugend der Demut hin. Dem Priester empfiehlt er diese vor allem dann, wenn es um die Zusammenarbeit mit den Laien geht. So sagte er einmal: "Der Priester gehört nicht zu den Honoratioren, er ist mit auf dem Weg. Und die Getauften sind für ihn echte Partner."
Der hl. Franz von Sales ist heute jener Heilige, der als erster begonnen hat, das Christsein in der Welt außerhalb der Klostermauern und fern von jeder Priesterweihe zu unterstützen, der Laien nicht als mindere Christen ansah, sondern als gleichwertig, weil sie ebenso zur Heiligkeit berufen sind. Wir Oblaten des hl. Franz von Sales sind daher in ganz besonderer Weise aufgefordert, gerade die Berufungen der Laien in der Kirche zu fördern, sie wirklich als echte Partner im Aufbau der Gemeinde und des Reiches Gottes zu sehen. Daher wünsche ich uns die Gnade der Laien, die Gnade, ihre Talente und Fähigkeiten zu erkennen und zu achten.

nach oben


6.  Die Gnade der Gottsuche

Wenn der Priester ernst damit macht, dass er vor allem anderen Christ unter Mitchristen ist und sich deshalb um eine solidarische Präsenz unter den ihm Anvertrauten zu bemühen hat, darf er sich nicht wundern, dass er dann auch auf unterschiedliche Weise Anteil erhält an den Glaubensschwierigkeiten seiner Schwestern und Brüder. Viele fühlen sich heute im Glauben angefochten. Gott ist für sie fern, in ein schweigendes Dunkel gehüllt, ohne erfahrbare Wirkkraft im Alltag. Gebet und gottesdienstliche Feier werden zur Last und Qual. Wenn nun der Priester Ähnliches im eigenen Leben erfährt, so darf er sich auch sagen: Gott mutet mir zu, zusammen mit meinen Mitchristen und gleichsam als deren "Stellvertreter" für sie den Weg eines angefochtenen Glaubens zu gehen; ich bin von Gott in Dienst genommen, die Last des Glaubens für viele mitzutragen. Dazu gehört auch, dass der Priester nicht aufhört, trotz allen Dunkels das Angesicht Gottes zu suchen, trotz allen Unbefriedigtseins im Gebet das Schweigen Gottes auszuhalten und trotz aller scheinbaren Ferne Gottes die Spuren seiner Gegenwart in unserer säkularisierten Welt zu entdecken. So kann auch das Angefochtensein des Priesters für die ihm anvertrauten Gläubigen fruchtbar werden.
Franz von Sales entdeckte durch eine tiefe Glaubenskrise hindurch den Gott der Liebe. Er selbst begleitete im Laufe seines kurzen Lebens eine Fülle von Menschen, die Glaubenszweifel, Dürre und Trockenheit durchlebten. Er ermutigte sie - weil er stets um die Erfahrungen seiner eigenen Krise wusste - nicht aufzugeben, sondern den Gott der Liebe weiterzusuchen. Uns wünsche ich diese Gnade der ständigen Gottsuche, die uns nicht müde werden lässt, uns dorthin zu orientieren, woher all unser Lebenssinn kommt, auf Gott hin, der in Jesus Christus Mensch geworden ist.

Herbert Winklehner OSFS


nach oben | Übersicht A-Z