Die Freiheit -

die Tugend, die Liebe erst möglich macht

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„Freiheit ist das einzige was zählt“. Dieses Lied des deutschen Sängers Marius Müller-Westernhagen wurde Ende der 1980-er Jahre zur Hymne all derer, die den Fall der Berliner Mauer und den Untergang der kommunistischen Diktatur bejubelten. Freiheit gehört seit der UNO-Menschenrechtserklärung, die am 10. Dezember 1948 verkündet wurde, zu den Grundrechten des Menschen. Jeder Mensch hat das Recht auf Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Gewissensfreiheit und darf dafür nicht bestraft werden. Die politische Realität zeigt nur allzu oft, dass diese Grundrechte mit Füßen getreten werden und Millionen Menschen unter Unfreiheit leiden. Freiheit aber ist nicht nur ein politisches Grundrecht des Menschen, sondern auch ein theologisches. Sehr eindrucksvoll macht dies der heilige Kirchenlehrer Franz von Sales (1567-1622) deutlich.

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1.  Der kostbarste Teil des Menschen

„Die Freiheit ist der kostbarste Teil des Menschen“, schreibt der heilige Franz von Sales. Wie kommt er darauf? Er lebte ja noch nicht in einer Zeit, in der Freiheit so groß geschrieben war wie heute. Die französische Revolution (1789-1799) und ihr Ruf nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ hat noch nicht stattgefunden, ebenso wenig wie die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen. Es gab noch keine Demokratien, in der vom Volk gewählte Verfassungen die Rechte der Bürgerinnen und Bürger schützen. Sowohl Kirche als auch Staat waren strikt hierarchisch geordert. Der König befiehlt, die Untertanen gehorchen. Wer sich die Freiheit nimmt, einen Befehl zu missachten, hat die Konsequenzen zu tragen, was nicht selten die Hinrichtung bedeutete. Franz von Sales selbst hat sich stets an diese hierarchischen Strukturen gehalten. Ein charakteristisches Beispiel ist sein Verhalten gegenüber dem Papst. Als Franz von Sales 1597 in Rom gegenüber Papst Clemens VIII. eine Aussage des Konzils von Trient zitierte, entgegnete der Papst, dass er aber jetzt anderer Meinung sei als das Konzil. Darauf sagte Franz von Sales: „Dann ist diese Meinung richtig, denn der Papst steht über dem Konzil.“

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2.  Der freie Wille

Warum behauptet Franz von Sales trotzdem, dass die Freiheit der kostbarste Teil des Menschen ist, obwohl er sich mühelos den Obrigkeiten von Staat und Kirche und deren Anordnungen unterordnete?
Franz von Sales war kein Politiker, sondern Theologe. Als solcher stellte er fest, dass Gott jedem Menschen einen freien Willen geschenkt hat. Nicht, weil Gott der Vorreiter der französischen Revolution sein wollte, sondern rein aus Liebe zu den Menschen. Liebe aber ist nur in Freiheit möglich. Ein erzwungenes „Ich liebe dich“ ist nichts wert. Es sind bloße Worte, ohne Gewicht. Erst wenn ein Mensch aus freiem Entschluss zu einem anderen Menschen Ja sagt, kommt Liebe zur wahren Entfaltung.
Daher lautet die erste Frage, die ein Brautpaar bei der kirchlichen Hochzeit mit Ja beantworten muss: „Bist du hierher gekommen, um aus freiem Entschluss den Bund der Ehe zu schließen?“ Die Feststellung der Freiheit gehört beim vorbereitenden Ehegespräch zu einem der wichtigsten Elemente. Druck, Drängen oder Zwang stellen ein unbedingtes Ehehindernis dar. Liebe, das Fundament des Ehesakramentes, ist eben nur in gegenseitiger Freiheit möglich.

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3.  Liebe in Freiheit

Gott möchte, dass wir Menschen ihn lieben, und zwar in Freiheit. Gott will nicht, dass wir ihn achten und ehren, weil er der Allmächtige ist, dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden (Mt 28,18). Er möchte, dass wir ihn lieben, weil er uns liebt. Wir Menschen sind dazu berufen, auf diese Liebe Gottes Antwort zu geben. Das können wir aber nur in aller Freiheit. Deshalb, so Franz von Sales, ist diese Freiheit der kostbarste Teil des Menschen, weil es nur in Freiheit möglich ist, Gott mit ebensolcher Liebe zu lieben, wie er uns Menschen liebt.
Deshalb nimmt Gott sogar in Kauf, von uns Menschen und unserem freien Willen abgelehnt zu werden. Als Jesus Christus in seine Heimatstadt Nazaret kam, lehrte er in der Synagoge. Die Menschen staunten sogar über diese Lehre. Doch dann fragten sie sich: Woher hat er das alles? Wir kennen ihn doch, er ist doch der Zimmermann, der Sohn Marias. Er hat uns also gar nichts zu sagen. Wir lehnen ihn ab (vgl. Mk 6,1-6). Die Menschen von Nazaret nutzen ihre Freiheit dazu, Jesus – obwohl er sie in Staunen versetzt – abzulehnen. Wir wollen nichts von dir wissen, verschwinde. Dann folgt die Konsequenz dieser Ablehnung: Jesus konnte dort keine Wunder tun. Gott kann dort, wo er abgelehnt wird, wo nicht in Freiheit Ja zu ihm gesagt wird, keine Wunder vollbringen. Seine Liebe kann nicht zur vollen Entfaltung kommen, weil Liebe nur in Freiheit möglich ist.

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4.  Gott wirbt um uns

Franz von Sales beschreibt diese freie Beziehung zwischen Gott und Mensch mit wunderschönen Worten in seinem theologischen Hauptwerk „Abhandlung über die Gottesliebe“: „Gott zieht uns nicht mit eisernen Fesseln an sich wie Stiere oder Büffel, sondern er wirbt um uns, er lockt uns liebevoll an sich durch zarte und heilige Einsprechungen. Das sind Bande Adams und der Menschlichkeit, sie entsprechen der Beschaffenheit des menschlichen Herzens, das von Natur aus frei ist ... Sieh, wie der himmlische Vater uns an sich zieht. Wenn er uns belehrt, lässt er uns Freude daran empfinden; er tut uns keinen Zwang an. Er wirft in unsere Herzen frohe und freudige geistliche Empfindungen, sozusagen als heilige Lockmittel, durch die er uns liebevoll anzieht, die Schönheit seiner Lehre aufzunehmen und zu verkosten. So wird … unsere Freiheit durch die Gnade keineswegs vergewaltigt oder zu etwas gezwungen. Wie allmächtig auch die Kraft der barmherzigen Hand Gottes ist, die die Seele mit so vielen Einsprechungen, Anregungen und Lockungen rührt, umhüllt und fesselt, der menschliche Wille bleibt doch stets vollkommen frei, ohne einem äußeren oder inneren Zwang zu unterliegen. Die Gnade erfasst ja unsere Herzen so sachte und zieht sie so liebevoll an sich, dass sie in keiner Weise die Freiheit des Willens trübt. Sie berührt machtvoll, zugleich aber so zart das, was unseren Geist bewegt, dass unsere Freiheit keinen Zwang erleidet. Die Gnade besitzt Kräfte, nicht um von unseren Herzen etwas zu erzwingen, sondern um sie liebevoll anzulocken. Ihr wohnt heilige Gewalt inne, uns nicht zu vergewaltigen, sondern unsere Freiheit zu einer liebenden zu gestalten. Sie wirkt kraftvoll, aber zugleich so milde, dass unser Wille unter ihrer so machtvollen Tätigkeit nicht erdrückt wird. Sie drängt uns, unterdrückt aber nicht unser freies Handeln, so dass wir, bei all ihrem kraftvollen Wirken, ihren Regungen zustimmen oder widerstehen können, wie es uns gefällt.“ (DASal 3,129f)
Die Tugend der Freiheit besteht darin, aus freiem Willen unser Ja zu diesem liebevollen Werben Gottes zu sagen.

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5.  FRAGEN ZUM NACHDENKEN

  • Fühle ich mich Gott gegenüber frei?
  • Welche Zwänge beherrschen mich?
  • Welche Antwort gebe ich auf die Liebe Gottes?

Herbert Winklehner OSFS


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