Armut

die Tugend für den besseren Umgang mit dem Vermögen

Ein reicher junger Mann kam zu Jesus und wollte wissen, wie er ein guter Mensch werden könne. Jesus antwortete ihm mit den zehn Geboten. Diese, so der junge Mann, halte er alle ein … aber was fehlt noch? Jesus sagte darauf: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach.“ Die Geschichte endet mit dem Satz: „Als der junge Mann das hörte, ging er traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen“ (Mt 19,16-22).


1.  Ein evangelischer Rat

Diese Episode aus dem Evangelium gilt seit alters her als Grundlage für das Gelübde der Armut, das Mönche und Nonnen versprechen. Es geht auf kein Gebot zurück, sondern auf einen Rat, den Jesus erteilt. Daher nennt man dieses Gelübde wie auch das Gelübde des Gehorsams und der ehelosen Keuschheit „evangelische Räte“. Die Frage ist, ob dieser jesuanische Rat zur Armut demnach nur etwas für jene ist, die in ihrem Leben die Entscheidung treffen, ins Kloster zu gehen, oder handelt es sich hierbei auch um eine allgemeine Tugend, die auch in der Welt ihren Wert besitzt. Ich denke schon. Deutlich mag dies werden, wenn wir diese Tugend der Armut ein wenig umformulieren und sagen: Die Tugend der Armut ist die Fähigkeit, mit Geld und Besitz in rechter Weise umzugehen. Und Geld und Besitz ist etwas, das gerade und vor allem in der Welt eine besondere Rolle spielt. Daher ist es angebracht, dass die so genannten „Weltleute“, also jene, die nicht ins Kloster gehen und trotzdem ein christliches Leben führen wollen, sich dieser Tugend der Armut annehmen. Einen ersten Anreiz dazu kann uns ein Wort des belgischen Ordenspriesters und Schriftstellers Phil Bosmans geben, der meinte: „Suchst du das Glück in Geld und Besitz, dann findest du es nicht.“

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2.  Geld regiert die Welt

Die Tugend der Armut hat in der heutigen Zeit eine Menge an Bedeutung eingebüßt. Geld regiert die Welt, nicht nur in den reichen Industrienationen, sondern auch in den ärmsten Ländern der Erde. Fast alle politischen Entscheidungen, die heute getroffen werden, haben mit Bilanzen, Budgets, Wirtschaftswachstum, Bruttosozialprodukt, Import, Export, Aktien, Steuern oder Holdings zu tun. Das Interesse der Politiker für den Umweltschutz beispielsweise hat erst dann so richtig eingesetzt, als sie merkten, dass mit Umweltschutz auch Geld zu verdienen ist. Die Themen „Bewahrung der Schöpfung“ oder „Verantwortung für zukünftige Generationen“ spielt genau besehen in den tatsächlichen politischen Entscheidungen nur eine untergeordnete Rolle. Der ethische Ansatz mag zwar fürs Image des Politikers ganz gut sein, die Entscheidungen selbst aber hängen von den Geldern ab, die man zahlen muss oder verdienen wird. Verfolgen Sie doch einmal einen Tag lang eine Parlamentsdebatte und sie werden merken, wie notwendig es wäre, dass der Mensch wieder einmal ein wenig mehr über die Tugend der Armut nachzudenken beginnt.

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3.  Arm im Reichtum

Der heilige Franz von Sales nennt zwei Bereiche, wie man über diese Tugend nachdenken könnte: Die Übung der Tugend der Armut, wenn man reich ist, und die Übung der Tugend Armut, wenn man arm ist. Ich beschränke mich hier auf die Übung der Tugend Armut, wenn man reich ist. Dabei geht es vor allem um den Stellenwert, den man Geld und Besitz einräumt. Ist man Sklave seines Geldes oder sein Herr. Man erinnere sich an das Wort Jesu: „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon“ (Mt 8,24).
Um Geld und Besitz deutlich zu machen, dass sie einen nicht beherrschen, nützt eigentlich nur eine Methode: der Verzicht. Nehmen Sie sich doch einmal genau Ihr Bankkonto unter die Lupe. Sie sehen den Betrag und freuen sich, dass er wieder ein wenig mehr geworden ist. Oder Sie sind ein wenig schockiert darüber, dass die Summe kleiner wurde oder gar ins Minus gerutscht ist. Überprüfen Sie jetzt, was Sie wirklich zum Leben brauchen, um gut leben zu können. Und nun vergleichen Sie … Sind Sie bereit, auf den Rest ihres Geldes zu verzichten? Oder denken Sie jetzt eher darüber nach, was Sie mit dem Überschuss anstellen können, damit sich Ihr Besitz vermehrt. Je nach den Gefühlen, die jetzt in Ihnen lebendig werden, können Sie erkennen, wie sehr Sie Herr oder Sklave Ihres Vermögens sind, wie weit Sie die Tugend der Armut leben oder nicht.

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4.  Praktische Tipps

Franz von Sales empfiehlt zur Übung der Tugend Armut in seiner Philothea, seiner Anleitung zum frommen Leben, als erstes nicht, dass man sofort alles verschenkt, sondern überraschenderweise das genaue Gegenteil. Man soll mit jenen Gütern, die man besitzt, verantwortlich umgehen, da sie mir von Gott anvertraut sind. Er meint: „Sei noch sorgfältiger als weltlich Gesinnte darauf bedacht, deinen Besitz nutzbringend und fruchtbar zu machen … Gott hat ihn uns zur Verwaltung übergeben und er will, dass wir ihn nützlich und gewinnbringend verwalten. Also dienen wir Gott in wohlgefälliger Weise, wenn wir diese Sorgfalt auf unseren Besitz verwenden.“ (DASal 1,145f).
Sein zweiter Rat zielt darauf, sich im Verzicht zu üben: „Trenne dich immer wieder von einem Teil deines Vermögens, indem du gern den Armen davon gibst.“ (DASal 1,145) Das Almosengeben, also für einen wohltätigen Zweck zu spenden, ohne dafür irgendeinen Lohn zurückzubekommen, nicht einmal Lob und Anerkennung, ist für Franz von Sales eine wunderbare Methode, die Tugend der Armut zu erlernen. Ein dritter Rat gilt dem Umgang mit all jenen Menschen, die ärmer sind als ich: „Liebe die Armen und die Armut, denn durch diese Liebe wirst du selbst arm … Liebst du sie aber, dann suche ihre Gesellschaft, freue dich, sie bei dir zu sehen, suche sie selbst auf, sprich gern mit ihnen, sei froh, wenn sie in der Kirche, auf der Straße oder sonst wo in deine Nähe kommen … Willst du noch mehr tun? Dann begnüge dich nicht damit, arm wie die Armen zu sein, sondern sei noch ärmer als sie … Werde also zum Diener der Armen.“ (DASal 1,145)
Schließlich weist Franz von Sales auf jene Situationen des Lebens hin, die ebenfalls eintreten können. Es kann sein, dass ich durch irgendein Missgeschick einen Verlust meines Besitzes erleide, ohne es selbst zu wollen. Hier meint Franz von Sales: „Trifft dich ein Missgeschick, das dich mehr oder minder arm macht, … dann ist der rechte Augenblick gekommen, die Armut zu üben, die Minderung des Vermögens ruhig hinzunehmen, sich mutig und geduldig den ärmeren Verhältnissen anzupassen.“ (DASal 1,146) Ein abschließender Rat bringt die Übung der Tugend Armut auf den Punkt. Das Ziel ist nämlich die ewige Glückseligkeit, die gerade den „Armen im Geiste“ verheißen ist: „Begehre also nicht absichtlich und ausdrücklich ein Gut, das du nicht hast. Hänge nicht dein Herz an den Besitz, den du hast. Verzweifle nicht bei einem Verlust, den du erleidest. Dann hast du guten Grund zu glauben, dass du zwar tatsächlich reich bist, da du aber nicht daran hängst, innerlich arm und folglich selig, denn das Himmelreich ist dein (vgl. Mt 5,3).“ (DASal 1,145).

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5.  FRAGEN ZUM NACHDENKEN

  • Wie gehe ich mit meinem Vermögen um?
  • Bin ich bereit für einen guten Zweck zu spenden?
  • Liebe ich die Armen in meiner Nähe?

Herbert Winklehner OSFS


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