Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
September / Oktober 2011

 

Kleine, aber wichtige Tugend
P. Hans Werner Günther OSFS

Die geistlichen Gespräche sind keine fertige Abhandlung über ein bestimmtes Thema, sondern sie sind aus den Aufzeichnungen der Schwestern entstanden, die diese bei den regelmäßigen Unterweisungen, die Franz von Sales den Schwestern gab, anfertigten.

Eine Zeit zum Plaudern

Ein Beispiel, wie solche Gespräche entstanden: War das Wetter schön, versammelte man sich im Garten. Der Heilige kam mit einem geistlichen Begleiter, man brachte ihm einen Stuhl, die Schwestern setzten sich ringsum auf den Rasen. Dann begann er in seiner langsamen, ruhigen Art.
Im 23. Gespräch heißt es in diesem Zusammenhang: „Als er eintrat, sagte er: Guten Abend, meine lieben Töchter, ich komme, um noch ein Weilchen mit euch zu plaudern. … Was haben wir uns noch zu sagen? Wohl nichts mehr. Freilich, Frauen wissen immer noch etwas.Wir wollen aber keine langen Einleitungen machen“ (DASal 2,315). Dann stellte oft eine Schwester eine Frage oder er trug etwas über ein Thema vor. Oft auch unterbrachen ihn die Schwestern mit Fragen oder Einwendungen.

Das geistliche Leben

Der Rahmen der Gespräche ist sehr weit gespannt. Das haben die Ausführungen in den letzten LICHT-Nummern schon gezeigt. Er umfasst nicht nur die eigentlichen Übungen des Ordenslebens, in das der Heilige seine Töchter einführen wollte, sondern das geistliche Leben überhaupt im weitesten Sinne des Wortes, dessen wesentliche Gesetze ja im Ordensleben gleiche Geltung haben wie im Leben der Frommen in der Welt.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich vielleicht das 16. Gespräch über die Nachgiebigkeit, denn hier könnte manch einer die Frage stellen, was diese Tugend, wenn es denn eine ist, mit dem geistlichen Leben zu tun haben soll.
Für Franz von Sales war die Nachgiebigkeit eine Tugend, wenn auch vielleicht keine sehr große, aber eine wichtige, die es zu beachten galt.

Der Heilige im Gespräch

Um zu verstehen, was Franz von Sales unter Nachgiebigkeit verstanden hat, wollen wir den Heiligen an dieser Stelle einfach einmal selbst – nach den Aufzeichnungen der Schwestern – zu Wort kommen lassen. „Kürzlich habe ich im Leben des großen heiligen Anselm etwas gelesen, was ich euch erzählen muss; ihr versteht dann gleich besser, was mit diesem Willen des Wohlgefallens gemeint ist.
Dieser Heilige war als Prior und als Abt bei allen ungemein beliebt, weil er gegen alle, selbst gegen Fremde, so gefällig und nachgiebig war.
Bat man ihn: ‚Nehmen Sie doch etwas heiße Suppe, das ist gut für Ihren Magen‘ – so aß er sie.
Kam ein anderer und sagte: ‚Die Suppe tut Ihnen nicht gut, Sie dürfen sie nicht essen‘, so ließ er sie sofort stehen.
Er fügte sich in allem, was nicht offensichtlich gegen Gottes Willen war, dem Willen seiner Mitbrüder, die sicherlich oft genug ihren natürlichen und gewohnheitsmäßigen Neigungen folgten, und sogar dem Willen der Weltleute, die mit ihm machten, was sie wollten.
Wenngleich nun alle den Heiligen überaus liebten, so waren doch nicht alle mit dieser großen Willfährigkeit und Nachgiebigkeit einverstanden.
Schließlich wollten einige seiner Mitbrüder ihm Vorstellungen machen und ihm sagen, dass sie das nicht für recht hielten.
Sie begannen also: ‚Vater, wir alle, die Ihrer Leitung unterstehen, lieben und schätzen Sie. Erlauben Sie uns jedoch, die wir Sie noch mehr als alle anderen lieben, Ihnen sagen zu dürfen, dass Sie viel zu gefällig und gefügig sind und aller Welt zu Willen. Wir möchten meinen, dass Sie mehr Würde wahren und vielmehr Ihre Untergebenen dazu bringen sollten, sich Ihrem Willen zu beugen, statt immer allen nachzugeben, wie Sie es tun.‘
Darauf antwortete der Heilige: ‚Wisst Ihr wohl, meine lieben Kinder, warum ich das tue? Ich denke an die Worte des Heilandes, der uns befohlen hat, den Nächsten so zu behandeln, wie wir behandelt zu werden wünschen (Mt 7,12; Lk 6,31) und deshalb kann ich nichts anderes tun. …‘ Seht, meine lieben Schwestern, wie sich der hl. Anselm in allem fügt, was nicht gegen die Gebote Gottes und der Kirche oder gegen seine Regeln ist. – Der Gehorsam geht ja immer vor; ich denke nicht, dass man ihn auf Grund seiner Nachgiebigkeit hätte dazu bringen können, etwas gegen Gottes Gebot oder gegen die Regeln zu tun. Das gewiss nicht. Aber sonst war Nachgiebigkeit in allem und gegen alle sein oberster Grundsatz“ (DASal 2,225–227).

Eine Alltagstugend

Nachgiebigkeit im Sinne von Franz von Sales heißt aber nicht: Jedem ist alles erlaubt, was er will. Sie kann auch nicht bedeuten gegen den Willen Gottes zu handeln.
Schließlich gilt Nachgiebigkeit vor allem für die kleinen Dinge im Alltag. „Ob ich mich schlafen lege oder aufbleibe, ob ich Suppe esse oder nicht, ob ich da bleibe oder dorthin gehe – das alles ist mehr oder minder nebensächlich; in solchen Dingen aber unnachgiebig sein, das wäre keine kleine Unvollkommenheit“, zitiert Franz von Sales wieder den heiligen Abt Anselm (DASal 2,227).

P. Hans Werner Günther ist Oblate des heiligen Franz von Sales und Seelsorger in Eichstätt, Bayern

 

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