Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
September / Oktober 2011


Nachgeben, wer?
Ich? Nein !!??

Leo Schlamp

Als ich noch ein kleiner Lausbub war, habe ich oft mit meinen Geschwistern um sämtliche Dinge gestritten. Ob sie nun klein oder groß an Bedeutung waren, egal, aber nachgeben wollte niemand. Aber irgendwann musste man diese Tugend lernen, auch ich.
In diesem Artikel möchte ich das Nachgeben in drei Bereiche aufgliedern. Dem innerlichen Nachgeben, dem äußerlichen und dem Gesamtbild des Nachgebens.

Mit dem Kopf durch die Wand

Unsere Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Wir haben gelernt oder müssen lernen, dass man nur mit Leistung ans Ziel kommt. Die Brechstangen- oder Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Mentalität können helfen, diese Leistung durchzusetzen. Aber genau hier kommt das Nachgeben ins Spiel.
Geht man mit dem Kopf durch die Wand, wird diese massiv beschädigt und es bleibt außer Dreck und Zerstörung nicht viel übrig. Man ist am Ziel, aber auch nicht mehr. Hätten wir den einen oder anderen Kompromiss gewagt, also nachgegeben, hätten wir die Türe benützen können und wären locker und ohne Staub ans Ziel gekommen. Doch wie können wir dies erlernen?

Innerliches Nachgeben

Dazu eine kleine Geschichte: Ein Abt eines Klosters war von seinen Mitbrüdern und den Menschen, die rund um das Kloster wohnten, sehr geschätzt und beliebt. Wenn man ihn bat: „Bitte probieren Sie doch von der Suppe!“, so tat er dies. Kam jemand anders und ermahnte ihn, dass dies schlecht für seinen Magen sei, so bedankte er sich und befolgte seinen Ratschlag.
Eines Tages kam der jüngste Mönch zu ihm und kritisierte ihn: „Die Mitbrüder und ich schätzen Sie sehr, aber ich erlaube mir, anzumerken, dass Sie mehr Würde bekommen und die Untergebenen dazu bringen sollten, sich Ihrer Würde zu beugen, statt immer nur nachzugeben, was Sie oft genug tun.“ Der Abt antwortete: „Behandle deinen Nächsten so, wie du wünscht, dass er dich behandele!“
Das innerliche Nachgeben ist wie ein Haus. Es fußt auf Werten wie Selbstsicherheit, innerem Einklang und einer festen Persönlichkeit. Fehlt ein Baustein, kommen leicht Fragen auf wie: Wo bleib ich da? Und was ist mit mir? Doch genau hierin liegt die Stärke des innerlichen Nachgebens. Im Zeithaben, in der Einsicht, im Verständnis für den anderen wachse ich selbst an Werten und Erfahrungen, baue mein Haus des Nachgebens aus oder verstärke es sogar. Aber alles mit Maß und Ziel. Wie sagt ein Freund von mir: „Es muss im Einklang mit dir stehen!“

Das äußerliche Nachgeben

Wie oft gehen wir, wenn wir auf dem Weg sind, einer anderen Person bewusst oder unbewusst aus dem Weg? Eigentlich sehr oft. Auch dies ist eine Form des Nachgebens, des äußerlichen. Nicht umsonst heißt im Englischen das Wort für Nachgeben „to give way“ (Jemanden den Weg freimachen). Das Äußerliche kann aber ohne das Innere nicht leben oder überleben, also zuerst muss ich innerlich dafür bereit sein, dann kann ich es äußerlich auch schaffen.
Das äußerliche Nachgeben kann viele Formen haben. Eine Umarmung, eine Grußkarte, das Gespräch oder, wie schon erwähnt, den Weg für jemanden anderen frei zu machen. Denn vielleicht macht der, der da vor mir geht, etwas, was mir vielleicht von Nutzen sein könnte?

Das Gesamtbild

Schon seit längerer Zeit gehe ich mit meiner Freundin in einer Tanzschule wöchentlich tanzen. Eine sehr gute Abwechslung und ein fixer Termin in unserer Wochenplanung. Gleichzeitig eine völlig neue Erfahrung. Tanzen konnte ich vorher schon, aber nachgeben noch nicht ganz so!
Nachgeben bedeutet die Bereitschaft, sich einer Gegebenheit, einer Situation, einem Problem oder einer Person anzupassen. Beim Tanzen beispielsweise lernt der männliche Partner, sich auf den Takt zu konzentrieren, ihm also„nachzugeben“, und sich auf die Partnerin einzustellen. Und die Dame lernt, dem führenden Mann das Zepter zu übergeben und ab und zu (zumindest) Recht zu geben, oder einfach: Nachzugeben! Das Zusammenspiel und die Harmonie beim Tanzen sind äußerst wichtig, das Fallen-lassen in das Vertrauen des Partners. Wenn der Partner beispielsweise diesen oder jenen Tanzschritt machen will, hat er vielleicht einen Grund, auch wenn der Gegenüber gerade nicht sieht, warum. Vielleicht war kein Platz, es kam ein anderes Paar direkt entgegen oder er wollte nur wieder Schwung in den ruhig-gewordenen Tanz bringen. Zusammenfassend: Wenn der eine etwas nachgibt, und der andere auch, kommt man vielleicht schneller durch den Tanzsaal des Lebens!
Abschließen möchte ich diesmal mit ein paar Worten von Pater Anselm Grün aus seinem Buch „Das kleine Buch der Engel!“

Die Ressourcen der Welt sind begrenzt.
Durch den Verzicht müssen wir uns anpassen an die Realität der Welt. Also nachgeben!
Ich wünsch dir den Engel des Verzichts.
Er möge dich in die Kunst des gesunden Lebens und in die innere Freiheit einführen
und deinen Blick für vieles weiten.
Er möge dich aber auch Folgendes lehren:
Zu genießen und zu verzichten, um dich selbst innerlich frei zu machen.

Ich wünsche Ihnen reiche Erfahrungen des Nachgebens und allen Tanzpaaren Gelassenheit und ein gutes gemeinsames Lebenstaktgefühl!

Leo Schlamp studiert Wirtschaftspädagogik an der Universität in Wien, Österreich

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