Mich Gott
ganz überlassen
P. Herbert Winklehner OSFS
Seit ihrer ersten Begegnung im März 1604 verging kaum ein Jahr, in dem Johanna Franziska von Chantal nicht einige Tage dazu nutzte, um sich von Franz von Sales in Exerzitien begleiten zu lassen. So geschah es auch im Mai 1616.
Reiße kühn alles weg
Franz von Sales war zu dieser Zeit krank und musste das Bett hüten. Er kam daher nicht persönlich zum Gespräch in das Heimsuchungskloster von Annecy, sondern schrieb Briefe. Johanna Franziska berichtete ebenfalls schriftlich von ihren Gedanken während dieser Exerzitien. Diese Briefe sind uns glücklicherweise erhalten geblieben. Alle ihre anderen Briefe an ihren geistlichen Freund hatte sie ja nach dessen Tod verbrannt. So können wir noch heute sehr schön nachvollziehen, was in diesen Tagen in den beiden Heiligen vor sich ging.
Das Thema der Exerzitien war der persönliche Wunsch von Johanna Franziska von Chantal: „Mich Gott ganz überlassen“. Franz von Sales, der gerade sein theologisches Hauptwerk „Abhandlung über die Gottesliebe“, auch „Theotimus“ genannt, vollendet hatte, ging sehr gerne auf dieses Thema ein, da er durch diese Abhandlung deutlich machen wollte, dass die Gottesliebe allein das Ziel und die Bestimmung des Menschen ist.
So gab Franz von Sales Johanna Franziska schon am Beginn der Exerzitien ein Gebet für diese Tage mit:
„Ich will es gewiss, o Herr; reiße kühn alles weg, was mein Herz noch umkleidet. O Herr, nein, ich will nichts davon ausnehmen, entreiße mich mir selbst. O mein Ich, ich verlasse dich auf immer, bis mein Herr mir befiehlt, dich wieder aufzunehmen.“
Dieses Gebet der Hingabe und der völligen Loslösung von allem soll Johanna Franziska „kraftvoll, aber ganz ruhig, zwischendurch“ immer wieder beten.
Gott allein genügt
In seinen anderen Impulsen riet er ihr, sich in Gedanken Schritt für Schritt von allem loszulösen, was ihr neben Gott wichtig und teuer ist. Sie solle dabei nachspüren, welche Gedanken und Gefühle bei ihr in diesem Loslösungsprozess auftauchen.
Johanna Franziska ließ sich auf diesen Exerzitienweg ein, um bei sich festzustellen, ob sie ihr Leben auch dann noch als sinnvoll erachtet, wenn sie nur noch Gott allein an ihrer Seite weiß.
„Gott allein genügt – Solo Dios basta“ … diese Aussage der heiligen Teresa von Avila war das Ziel dieses Exerzitienweges. Stimmt das auch für dich? Genügt dir Gott allein?
Johanna Franziska von Chantal begann von allem loszulassen: ihrer Familie, ihren Kindern, ihren Mitschwestern, ja von ihr selbst, ihren Wünschen, Plänen, Leidenschaften. Erst als ihr Franz von Sales befahl, auch ihn als ihren geistlichen Begleiter loszulassen, erkannte sie die volle Tragweite dieses Weges. Trotzdem war sie bereit dazu und schrieb:
„Möge Gott mich für immer in Besitz nehmen. Denn ich bin sein.“ (DASal 5,291)
Im Laufe ihrer Exerzitien wurde Johanna Franziska bewusst, auf welchen Weg sie sich da begeben und welche Konsequenzen dies für sie hat. Sie schrieb an Franz von Sales:
„Mein Gott, teurer Vater, wie weit ist das Messer vorgedrungen! Ob ich diese Gemütsverfassung lange aushalten kann? Wenigstens wird mich Gottes Güte bei diesem Entschluss erhalten, wenn es ihm gefällt, wie ich es so sehr wünsche.“ (DASal 5,293)
Johanna Franziska hielt ihren Weg durch. Selbst als sie merkte, dass dieser Weg sogar dazu führen kann, dass sich Gott selbst mit seinen Tröstungen von ihr zurückzieht. Sie erlebte sich wie Jesus Christus am Kreuz völlig nackt und entblößt und mit dem Schrei auf den Lippen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Trotz dieser inneren Leere und ermutigt von Franz von Sales, der sie aufforderte: „Verweilen Sie beharrlich in dieser Entblößung bei unserem Herrn“ (DASal 5,292), war sie bereit, am Ende ihrer Exerzitien ihren Entschluss, wirklich alles loszulassen, damit Gott allein genügt, in einer schriftlichen Erklärung zu besiegeln. Johanna Franziska von Chantal wird sich ihr restliches Leben lang immer wieder an diesen Tag als einen Markstein ihres Lebens erinnern, an dem sie dieses radikale Loslassen um der Liebe Gottes willen zu Papier brachte. Denn genau das, was sie in diesem Mai 1616 versprach, ist in den Jahren danach eingetreten. Am Ende ihres Lebens hatte sie wirklich alles loslassen müssen: ihren Ehemann, fünf ihrer sechs Kinder, ihre Eltern und Schwiegereltern, ihre Schwester Margarete und ihren Bruder André, ihre liebsten Mitschwestern des Heimsuchungsordens und Franz von Sales selbst. Der Tod hatte ihr alles genommen. Am Ende ihres Lebens hatte sie tatsächlich nur Gott allein, aber selbst seine tröstende Gegenwart blieb ihr verwehrt. Die letzten Jahre ihres Lebens hatte sie ständig damit zu kämpfen, dass sie auch von Gott verlassen worden war. Dennoch blieb sie bis zum letzten Atemzug ihrem Exerzitienentschluss treu: Gott allein genügt.
Glückselig die Entblößten
Am Ende der Exerzitienbriefe können wir bei Franz von Sales den Satz lesen:„Ich sende Ihnen recht liebevoll einen Gutenachtgruß und bitte Gott, er möge Sie, die er zu der liebenswerten und hochheiligen Reinheit und Nacktheit der Kinder zurückgeführt hat, nun in seine Arme nehmen …, um Sie nach seinem Willen zur äußersten Vollkommenheit seiner Liebe zu tragen. Und fassen Sie Mut, denn wenn er die Tröstungen und Gefühle seiner Gegenwart von Ihnen genommen hat, so deshalb, damit selbst seine Gegenwart nicht mehr Ihr Herz festhält … Glückselig die Entblößten, denn unser Herr wird sie bekleiden.“ (DASal 5,295)
P. Herbert Winklehner
ist Oblate des
hl. Franz von Sales,
Leiter des Franz Sales Verlages und Chefredakteur
der Zeitschrift LICHT
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