Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
Januar / Februar 2011

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Augen geschlossen
und hopp … !

Katharina Grabner-Hayden

Auch mich hatte erst kürzlich die asiatische „Schweinevogelgrippenpest“, oder wie immer dieses hinterhältige Virus heißt, ins Bett geworfen. Schweißgebadet und von Kälte geschüttelt lag ich unter zehn Decken mit Wärmeflaschen (fünf an der Zahl), teilweise mit besorgten Kindern, aber immer mit zwei hemmungslos schnurrenden Katzen im Bett und kämpfte gegen Fieber und fast unerträgliche Kopfschmerzen.

Nachdem das Fieberthermometer in bedrohliche Höhen geklettert war und ich nur noch das Bedürfnis hatte, friedvoll, nur nicht frierend zu sterben, beschloss mein Mann die Dienste eines Notarztes in Anspruch zu nehmen.
Dieser war auch gleich zur Stelle und versuchte mühevoll – ich schlotterte immer noch am ganzen Leib – mir eine Nadel in die Vene zu schieben. Nach sechs Versuchen und einem erschöpften „Geschafft“ saß die Nadel an ihrer Stelle und konnte meinem geschundenen Körper die Medikamente zuführen, die er so dringend brauchte. In Sekundenschnelle wirkte der Cocktail aus schmerz- und fiebersenkenden Medikamenten. Ein paar Gramm Beruhigungsmittel ließen Herz und Atmung nicht mehr rasen und machten mich zur ruhigsten Frau der Welt. Ich war das erste Mal in meinem Leben „high“, was die Kinder sichtlich amüsierte und ihnen den vergangenen Schock nahm.
„Mama, du bist ja voll zugedröhnt“, schnappte ich noch auf, als mich zwei Sanitäter in den Rettungswagen schoben. Mit letzter Kraft bäumte ich mich auf und befahl bereits etwas lallend, aber immer noch verständlich: „Felix, lerne heute noch für die morgige Matheschulaufgabe!“, dann fiel ich erschöpft in mein Kissen zurück.

Als mich der nette Notarzt fragte, ob mir das Zauberwort LOSLASSEN etwas sagen würde, wusste ich sofort, dass es sich nicht um einen Psychotest handelte, sondern um eine Verhaltenskritik, denn es war eine schmerzhafte Tatsache: Ich konnte einfach nicht loslassen. Nicht von ihnen, den Kindern, von der Arbeit, von Verpflichtungen, von Gedanken, die es nicht wert sind, weiterzudenken, von Freunden, die sich entfernen oder nähern.
Ich konnte nicht loslassen und tue mich immer noch schwer damit.
Waren da nicht so viele unglückliche und unverständliche Schicksalsschläge im Leben passiert, die uns die unselige Erfahrung machen ließen, die Dinge lieber selbst in die Hand zu nehmen, als sie von Gott oder dem Schicksal gegeben hinzunehmen?
Diese geistige Enge, die ich durch dieses „Nichtloslassenkönnen“ anfänglich als Freiheit und nun als Zwang empfunden habe, war das der Preis für das trotzig-menschliche Verhalten, das Wesen der Welt im Kleinen wie im Großen nicht einfach hinzunehmen, sondern es selbst zu gestalten? Doch woher kam diese Enge? Ich spürte sie als junge Frau nicht.

Ich lehrte meine Lieben gehen, langsam und wackelig, und fallen, vorsichtig und möglichst schmerzfrei. Ein Festhalten und Loslassen.
Beim Schwimmen hatte ich ihnen tausendmal unter die Arme gegriffen, sie geschützt und ihnen die Gefahren der Tiefe gezeigt. Ein Einatmen und Ausatmen.
Radfahren, Skifahren, Schule, das Leben – ein Einatmen und Ausatmen, ein Festhalten und Loslassen.
Als Kinder spielten wir oft dieses Vertrauensspiel. Ein Kreis aus Freunden, und der, der in der Mitte stand, musste die Augen schließen. Nie wusste man, in welche Richtung sich der Blinde fallen ließ, und doch, es verletzte sich niemand, immer ging es sich aus. Spannung, ein Lachen und dann die unsägliche Erleichterung, ein kurzes Glücksgefühl.

Das Loslassen ist eine Frage des persönlichen Vertrauens, ins Leben oder vielleicht in Gott. Dieses Festhalten-müssen ist eine Vertrauensfrage, deren Antwort immer schmerzhafter und belastender wird, je mehr man sich eingestehen muss, dass man dieses Urgefühl, das Urvertrauen in Gott verloren hat. Warum kann Gott nicht dieser Notarzt sein, der einem eine Nadel setzt, die einen in andere Ebenen, in eine Freiheit führt, wohltuend und berauschend?

Meine kleine eingebildete Freiheit, die sich Selbstbestimmung nennt, hat mich in eine Sackgasse geführt, weil ich mein Vertrauen verloren habe.
Eine salesianische Weisheit sagt: „Schau auf Gott und überlass ihm alles, er wird für dich sorgen“.
Eine sehr mutige Aussage in einer Zeit, in der zumindest in Europa alles nach Sicherheit und Wohlstand strebt. Ja, Mut ist es, den Franz von Sales von uns einfordert, Mut, wieder mehr zu vertrauen, in sich, in den Nächsten, ins Leben und auch in Gott.

Ich spüre erstmals wieder warme Beine unter der Decke und antworte dem besorgten Notarzt: „Ich kenne das Zauberwort, es ist nur manches Mal so schwer.“
Ich schließe die Augen, und während ich seicht vor mich hin döse, stehe ich im Kreis meiner Freunde, die Augen geschlossen, in glücklicher Erwartung auf mein Loslassen …

Katharina Grabner-Hayden ist verheiratet und hat vier Söhne.

 

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