Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
Januar / Februar 2011


Die schwierigste Lektion im Leben
Leo Schlamp

Zunächst dachte ich immer, dass die Suche nach dem Glück das schwierigste sei, aber irgendwie bin ich dann doch auf den Entschluss gekommen, dass das eine nicht ohne das andere geht. Nämlich „LOSLASSEN“ und das Glück.

Unbewusstes Loslassen

Zunächst dachte ich auch, dass diese Prozedur immer bewusst geschieht. Verständlich, dass eine Mutter, wenn ihr letzter Sohn aus dem Haus geht, Probleme hat, den sogenannten „Abnabelungsprozess“ zu verdauen und zu verarbeiten. Doch das „Loslassen“ passiert auch unbewusst. Ich schaute die Geburtstagsfotos von meinem Papa an, der sechzig wurde, und begriff, dass man, wenn man älter wird, von der Jugend Abschied nimmt und auch loslässt. Meine Freundin, die Krankenschwester in einem Spital in Wien ist, hat mir erzählt, dass sich unser Körper alle sieben Jahre erneuert, das heißt: Die Zellen erneuern sich. Ich lebe in einem Körper, der sich „selbst loslässt“. Die Umwelt lässt auch los, warum tun wir uns dann so schwer?
Der Rucksack mit der Vergangenheit

Das bewusste „Loslassen“ finde ich jedoch noch schwieriger als das abrupte, welches man nicht weiß. Die negativen Teile unserer Vergangenheit loslassen, damit wir Raum schaffen für Neues, damit wir uns von unnötiger Last befreien. Ich, wir, Sie, sind alle unterwegs. Jeder mit seinem eigenen Rucksack aus der Vergangenheit. Je schwerer dieser ist, desto schwieriger ist es, vorwärts zu kommen. Wir stolpern, fallen, verletzen uns mit etwas, das nicht mehr veränderbar ist. Darum, loslassen! Einfacher gesagt als getan. Wenn wir unseren Rucksack auspacken, müssen wir ja entscheiden, was wir hinter uns lassen. Die Gefühle der Vergangenheit holen uns ein, und viele haben davor Angst.
Da fällt mir eine alte Geschichte aus dem Zen-Buddhismus ein: In Asien ist es Brauch, dass die buddhistischen Mönche über längere Zeit auf Wanderschaft gehen. So geschah es, dass zwei Mönche auf ihrer Wanderschaft zu einer Straßenkreuzung kamen und dort eine Frau in einem schönen Kleid am Straßenrand stehen sahen. Sie traute sich nicht auf die andere Straßenseite, weil da eine große Schlamm- und Wasserlache war. Als einer der Mönche dies sah, ging er zu der Frau, nahm sie auf den Arm und trug sie, ohne ein Wort zu sagen, auf die andere Straßenseite. Dann wanderten die beiden Mönche weiter. Es vergingen Stunden, ohne dass einer von ihnen sprach. Plötzlich sagte der eine Mönch zu dem anderen: „Du, was du da vorher gemacht hast, verstehe ich nicht. Du weißt doch, dass es uns verboten ist, Frauen zu berühren. Und du hast diese Frau sogar auf die Arme genommen. Ich verstehe es nicht.“ Darauf antwortete der andere Mönch: „Ich habe diese Frau dort am Straßenrand stehen gelassen. Du aber trägst sie immer noch!“

Ein Gesamtbild, das Kraft gibt

Wenn wir gut mit unserer Vergangenheit abschließen wollen, sollten wir dies HIER und JETZT tun. Aus vielen Puzzleteilen der Vergangenheit bauen wir ein großes Bild, mit schönen und weniger schönen Teilen, aber das Gesamtbild ist es, an das wir uns gerne erinnern und woraus wir Kraft schöpfen, dass wir viel Ereignisreiches erlebt, aber viel Kraftraubendes DURCH-lebt haben. Dies kann uns Kraft geben für kommende, schwere Zeiten, frei nach dem Motto meines drei Jahre alten Neffen: „Wir schaffen das!“
Jeder Augenblick ist ein Schnittpunkt von Vergangenheit und Zukunft. Wenn wir etwas Schönes erleben, ist es in der nächsten Sekunde schon wieder Vergangenheit. So kreieren wir unsere eigene Vergangenheit. Immer wenn wieder ein neues Jahr begonnen hat, macht man sich Vorsätze und gestaltet so aktiv seine (vergangene) Zukunft im Hier und Jetzt. Beispielsweise kann uns schon etwas bereichern, wenn wir geduldiger sind, andere Menschen loben, wenn wir Dankbarkeit empfinden, wenn wir gesund sind und wir dankbar sind, weil wir eine gute Beziehung haben, einfach im „Status quo“ zufrieden sind.
Am Anfang habe ich die These aufgestellt, dass Glück und Loslassen eins sein sollen/müssen. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Franz Xaver Gernstl, ein bayrischer Moderator, der seit über fünfundzwanzig Jahren mit seinem roten Bus durch Bayern und durch die Welt fährt, versuchte in seinem Kinofilm „Auf der Suche nach dem Glück“ die Frage zu beantworten, ob er das Glück schon gefunden hat. Am Ende des Filmes kommen seine zwei Reisegefährten und er darauf, dass sie eigentlich schon, seitdem sie auf Reise sind, ihr Glück gefunden haben, nämlich, dass sie sich gefunden haben.
Man soll „loslassen“ von dem Gedanken, das Glück ein Objekt ist, das man einfangen kann. Für Gernstl ist Glück „in uns“ etwa beim Weißwurstfrühstück oder beim Spielen mit der Tochter, einfach im Miteinander. Glück wohnt in uns und lässt uns auch los, wenn wir loslassen an dem Gedanken, dass es uns schon verlassen hat.
So wünsche ich Ihnen, dass Sie immer wieder in Ihrem Lebensrucksack das Glück entdecken und die Kraft haben, von alten stinkenden Socken in Ihrem Leben Abschied zu nehmen.

Leo Schlamp studiert Wirtschaftspädagogik an der Universität in Wien, Österreich


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