Salesianische Zweimonatsschrift "Das Licht"
Ausgabe 6 - November/Dezember 2000

 

Raymund Fobes


Das Herz spricht zum Herzen

Interview mit Weihbischof
Dr. Klaus Dick, Köln

Man erlebt ihn als interessierten Zuhörer, der auf seinen Gesprächspartner eingeht, jedoch ebenso seine Überzeugungen anschaulich verdeutlicht und dabei zum Nachdenken einlädt. Es verwundert daher nicht, dass der Kölner Weihbischof Dr. Klaus Dick einen guten Zugang zu Franz von Sales hat – war es doch auch das Prinzip des Heiligen in Liebe die Wahrheit zu verkünden.
So war es uns eine Freude, den 1929 in Köln geborenen Bischof für ein LICHT-Interview zu gewinnen, in dem er auch als Zeitzeuge des Pontifikats von Papst Johannes XXIII., der am 3. September 2000 selig gesprochen wurde, und des Zweiten Vatikanums interessante Perspektiven aufzeigt.

LICHT: Sie haben einen guten Kontakt zu Franz von Sales. Wie sind Sie dem Heiligen auf die Spur gekommen?
Weihbischof Dick: Einmal war es die normale Kenntnisnahme im theologischen Studium von den großen bedeutenden Heiligen. Zum Zweiten war es meine Dissertation über Kardinal John Henry Newman. Da fand ich einen besonderen Bezug dieses großen englischen Konvertiten zum heiligen Franz von Sales, dessen Bild der Kardinal in seiner Privatkapelle über dem Altar angebracht hatte.
Später bin ich dazu gekommen, die Werke des heiligen Franz von Sales zu erwerben und ich schaue auch immer wieder gern dort hinein.
LICHT: Was gefällt Ihnen besonders an der Spiritualität des Franz von Sales?
Weihbischof Dick: Dass ein Bischof in neuerer Zeit bei wirklich widrigen Umständen die Aufgabe übernommen hat, die Wahrheit des katholischen Glaubens gewinnend darzustellen und den Menschen aus einer echten Seelsorge heraus wirklich zu dienen.
LICHT: Können Sie für Ihr Priester- und Bischofsein aus dem Lebensstil des heiligen Franz von Sales etwas mitnehmen?
Weihbischof Dick: Kardinal Newman hat aus einem Brief, den der heilige Franz von Sales an einen neu zu weihenden Bischof geschrieben hat, seinen Wahlspruch genommen: "Cor ad cor loquitur – Das Herz spricht zum Herzen." (vgl. DASal 12, 46, Brief über die Predigt)
Das "Cor ad cor loquitur" ist genau die Konzentration dessen, was für mich im Wirken des heiligen Franz von Sales als Bischof wichtig ist: dass er wirklich sein Herz einsetzte und von daher eben auch die Menschen zu gewinnen vermochte.
LICHT: Franz von Sales gilt als einer der Lieblingsheiligen von Papst Johannes XXIII., der am 3. September seliggesprochen wurde. Welche Bedeutung hat für Sie Papst Johannes XXIII.?
Weihbischof Dick: Die Papstwahl von Papst Johannes XXIII. am 28. Oktober 1958 war eine große Überraschung, weil man Kardinal Roncalli so gar nicht kannte. Man sah sogleich die ganz andere äußerliche Gestalt dieses Papstes. Und mit der zunehmenden Kenntnis von dem, was er tat und sagte, wurde deutlich, dass er wirklich als "Pastor" – als Hirte – der ganzen Welt angesehen wurde. Zudem trat sehr bald seine Ausrichtung auf die Geschichte hervor. Nicht nur sein Name, der eine Zeit von 600 Jahren überbrückte – Papst Johannes XXII. regierte von 1316 bis 1334 –, sondern auch, dass er bei seiner Krönungsmesse selbst predigte, was völlig ungewohnt war, zeigte, dass er an zum Teil ganz alte Bräuche anknüpfen wollte. Das tat er aber im Sinne einer sehr deutlichen Erneuerung, aus der Überzeugung heraus, dass in jeder Zeit das Evangelium in der Frische, Unverbrauchtheit und Jugendlichkeit wirkt.
LICHT: Die Persönlichkeit von Johannes XXIII. ist untrennbar mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil verbunden. Oft hört man, dass die Anliegen des Papstes und jene des Konzils in der Kirche heute in Vergessenheit geraten sind.
Weihbischof Dick: Viel, was man dem Konzil anlastet oder was man lobend von ihm sagt, bezieht sich eigentlich auf die Zeit nach dem Konzil. Vor allem die starke Zäsur zwischen vorkonziliarer und nachkonziliarer Kirche entspricht nicht dem, was wirklich prägend für dieses Konzil gewesen ist. Eine der großen Verfälschungen liegt darin, dass man bestimmte Strömungen und Tendenzen, die auch auf der Synode zum Zuge kommen konnten, nachher als die einzig entscheidenden interpretierte und die Schlussformulierungen der Konzilsdekrete als eine Art notwendigen Kompromiss bezeichnet hat, um andere, gegenläufige und dem nicht entsprechende Tendenzen wenigstens noch mit hineinzunehmen. Der theologische Wert einer Konzilsaussage liegt aber gerade darin, dass man bis in die Formulierungen hinein Aussagen gefunden hat, denen das ganze Konzil zustimmen konnte. Wenn man das Konzil selbst miterlebt hat, kann man auch noch feststellen: Manche haben während des Konzils nur geunkt, es würde sowieso nichts Vernünftiges dabei herauskommen, denn die römische Kurie hätte das alles nur vorbereitet. Und als man das dann nicht mehr aufrecht erhalten konnte, da war es der Papst, nachher Paul VI., der ins Konzil eingegriffen hätte.
Schlagartig mit Beendigung des Konzils hatten nun einige dieser sich in der Öffentlichkeit Meldenden den Geist des Konzils erkannt und dann mit diesem Geist operiert. Am Anfang hat man sogar direkt gesagt, es müsste ein Drittes Vatikanum kommen, dass alle die Wünsche erfüllte, die von diesen Beobachtern als unerfüllt festgestellt werden mussten. Da sehe ich eine entscheidende Verfälschung.
LICHT: Wo und wie erleben Sie die Umsetzung des Konzils durch den derzeitigen Papst Johannes Paul II.?
Weihbischof Dick: Ich könnte mir kaum einen maßgebenden Bischof oder gar Papst vorstellen, der in einer intensiveren Weise die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils und die Verpflichtung es umzusetzen, wahrnehmen würde als Papst Johannes Paul II. Er hat selbst als Konzilsvater mitgewirkt und ist voll und ganz von diesem Konzil als einer wichtigen Gabe und Vorgabe des Heiligen Geistes ausgegangen.
Wenn man ihm jetzt vorwirft, er wolle in manchem vor das Konzil zurück, ist das ein Missverständnis, denn er will nur das Konzil noch besser umsetzen, auch indem er Fehlentwicklungen oder drohende Gefahren der nachkonziliaren Entwicklung in den Griff zu bekommen sucht.
LICHT: Heute, rund 35 Jahre nach dem Konzil ist augenscheinlich, dass das Interesse an der Kirche und am Christentum immer geringer wird. Wo sehen Sie die Ursachen und wo die Möglichkeiten zur Bewältigung der Krise?
Weihbischof Dick: Zu dieser immer weiter gehenden Entfremdung von Glauben und Kirche in unserer Zeit – wohlgemerkt: hierzulande – hat das Allensbacher Institut festgestellt, dass die eigentlichen Schwierigkeiten auf der grundsätzlich religiösen Ebene liegen. Wir haben heute das Phänomen, dass weite Kreise in unserem Volk einen Grundansatz des Religiösen nicht mehr richtig wahrnehmen, nämlich das Gefühl, schlechthin abhängig zu sein. Die Menschen wollen nicht mehr abhängig sein, und das eben auch nicht mehr von einem höheren Wesen. Nichts könnte das wohl deutlicher zeigen als der Ausspruch Jugendlicher: "Eine Unverschämtheit, dass meine Eltern mich nicht gefragt haben, als sie mich ins Leben gerufen haben." Da zeigt sich nämlich, dass grundsätzliche Abhängigkeit eine Existenzbedingung des Menschen ist.
Wir müssen also wieder da ansetzen, wo dem Menschen bewusst wird, dass wir ohne einen Rückhalt an Gott nie eine Zukunft haben.
Das geschieht vielleicht am besten dann, wenn einem traurige Umstände – vielleicht gerade die Gebrechlichkeit des Lebens – deutlich werden. Not lehrt beten! Weil die Not verdeutlicht, dass man ohne Gott verzweifelt.

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