Salesianische
Zweimonatsschrift "Das Licht"
Ausgabe 6 - November/Dezember 2000
P. Alois
Bachinger OSFS
Stört Verschiedenheit
das Zusammenleben
Alle
wünschen sich im Zusammenleben Einheit, Harmonie, Frieden, Übereinstimmung.
In allen sozialen Gebilden wird das Einssein der Verschiedenheit vorgezogen:
Familie, Kirche, Ordensgemeinschaft, Betrieb. Für Menschen gelten
Unterschiede im Charakter, in der Weltanschauung, in der Religion, im
Alter als Hindernis für Gemeinsamkeit und Beziehung. Verschiedenheit
ist etwas, was nach verbreiteter Meinung zu überwinden ist.
Verschiedenheit in der Einheit
In Gott sind jedoch deutlich abgegrenzte, verschiedene Personen eine
Gemeinschaft. In der Orientierung an der Dreieinigkeit hat Verschiedenheit
volles Existenzrecht. Eigenstand und Verschiedenheit der drei Personen
sind geradezu die Voraussetzung dafür, dass sie sich einander hingeben
können. Gemeinschaft von der Trinität her gesehen ist ein
Geschehen gegenseitiger Hingabe von Eigenständigen. Obwohl die
drei Personen deutlich abgegrenzt existieren, sind sie eins, leben Gemeinsamkeit
und Beziehung. Verschiedenheit ist kein Hindernis für Gemeinsamkeit
in der Dreifaltigkeit.
In Gott sind Einheit und Vielheit, Einheit und Anderssein gleich ursprünglich,
gleichrangig, gleich wichtig. Daraus folgt einiges für das Zusammenleben
von Menschen. In fast allen sozialen Gebilden werden Einheit und Gleichklang
höher geschätzt als Vielfalt, Pluralität, unterschiedliche
Meinungen. So ist es auch in der Kirche. Jesus hat zwar um die Einheit
der Seinen gebetet, aber sicher nicht Uniformität gemeint.
"Es ist eine Dauerversuchung jeder Gemeinschaft, angefangen von
der Ehe und Familie bis hin zu Staat und Gesellschaft, das Anderssein
des anderen nicht ertragen zu wollen (oder zu können), es nicht
anzunehmen, anzuerkennen, zu schätzen. Es ist leichter und bequemer,
alles über einen Kamm zu scheren, Vielfalt zu unterdrücken,
Abweichler auszuschalten, Einheit über alles zu stellen. So suchen
sich die Alten gegen die Jungen durchzusetzen und umgekehrt, die Rechten
gegen die Linken und umgekehrt. Einer sucht jeweils den anderen auf
die Seite zu ziehen und so dessen Anderssein zu beseitigen ... alles,
damit endlich Einheit und Harmonie, Ruhe und Frieden herrschen",
schreibt der Dogmatikprofessor Gisbert Greshake in seinem Buch "An
den dreieinen Gott glauben". Minderheiten das heißt
von der Mehrheit Verschiedene haben es schwer in unseren Gesellschaften.
Der Blick auf den dreieinen Gott zeigt etwas anderes: Einheit geht nur,
wenn sie sich in Vielfalt vollzieht: im Mitsein, in der Anerkennung
des anderen, im Austausch mit ihm und in der Ergänzung durch ihn.
Und Vielfalt hat dann Berechtigung, wenn sich das Anderssein im gegenseitigen
Schenken und Empfangen (wozu auch kritisches Hinterfragen und Austragen
von Konflikten um das Wahre und Rechte gehört) zur Einheit der
Liebe zusammenfügen.
Der Einzelne, die Masse und die Dreifaltigkeit
Die Gemeinschaft im Verständnis von der Dreifaltigkeit her überwindet
Isolation und verhindert Uniformität. Vielfalt und Verschiedenheit
setzen uns nicht unter den Druck ein Übel beseitigen zu müssen,
damit alle übereinstimmen. Das Leben mit Verschiedenheit braucht
allerdings Toleranz und Gelassenheit.
Nach Leonardo Boff haben wichtige Themen unserer Gesellschaft einen
Zusammenhang mit Gott als dem Dreifaltigen. Die Gemeinschaft der göttlichen
Drei ist für uns eine Quelle der Inspiration: Im Kapitalismus wird
dem Einzelnen, der Unterschiedenen, Vorrang eingeräumt. Der stärkere
Einzelne soll sich auf Kosten der Mehrheit durchsetzen können.
Die Überbetonung des Unterschieds gerät zum Schaden für
die Gemeinschaft. Die "Ellbogengesellschaft" kann so entstehen.
Der Sozialismus hingegen legt Wert auf Teilhabe und Mitwirkung aller.
Allerdings sind ihm die persönlichen Unterschiede nicht besonders
wichtig. Die sozialistische Gesellschaft wird jedoch leicht zur Masse,
in welcher der einzelne Mensch nicht viel zählt. "Es geht
stets um eine theologische Frage, die mit dem Höchsten und Entscheidenden
unserer Geschichte zu tun hat. In all diesen Herausforderungen klingt
das Geheimnis der Dreifaltigkeit an, in dem die drei Personen dank ihrer
wechselseitigen Liebe ineinanderströmen, um ein einziger Gott zu
sein, der Leben ist und Leben spendet."
Gemeinschaft ist Bewegung
Das lateinische Wort Communio meint ein Geschehen; sie ist ein Prozess,
in welchem die verschiedenen Einzelnen gerade in ihrer Verschiedenheit
Einheit finden.
Communio ist also eine Einheit, die ihren Gegensatz, nämlich Vielheit,
nicht verleugnet oder verdrängt, sondern in sich trägt und
aushält. Die Spannung ist belebend. Die Einheit der Gemeinschaft
ist gerade jene Einheit, welche Kommunikation von Verschiedenen meint.
Gemeinschaft als "versöhnte Verschiedenheit" gesehen,
kommt unse-rer Lebenswirklichkeit nä-her als die Idealvorstellung
von totaler Einheit und Einigkeit. Die Dreifaltigkeit ist Urbild für
jede andere Gemeinschaft und daher zugleich Korrektiv menschlicher Konzeptionen
von Gemeinschaft und Gesellschaft.
Die Uridee Gottes mit seiner Schöpfung heißt Communio, weil
Gott selbst Communio, also engste Gemeinschaft dreier sich liebender
Personen ist.
Die Schöpfung trägt als Abbild Gottes diese Züge und
ist auf eine communiale Vollendung hin angelegt. Nur eine Communio unter
Menschen entspricht diesem Gott; nur ein gemeinschaftsbereiter Mensch
kann am Leben Gottes teilhaben. Boff schreibt: "Die Dreifaltigkeit
ist die beste Gemeinschaft."
Klaus Hemmerle, der sich intensiv mit der Theologie der Dreieinigkeit
beschäftigt hat, schreibt: "Dass Gott ganz und gar Mitteilung
sich verströmenden Lebens
ist, das dreht nicht nur das menschliche
Bild von Gott um; es betrifft auch unser Selbstverständnis, unser
Verständnis der Welt." Der römische Katechismus redet
vom Dreifaltigen Gott als dem "Zentralgeheimnis unseres Glaubens
und Lebens".
Zum Schluss ein Wort von Gisbert Greshake: "Der Glaube an den dreieinen
Gott ist die entscheidendste, folgenschwerste und für die christliche
Lebenspraxis relevanteste Glaubenswahrheit überhaupt."
P. Alois Bachinger ist Oblate
des hl. Franz von Sales. Er ist Rektor und Ökonom im Salesianum
Eichstätt, Bayern
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