Zum Freitag der 4. Fastenwoche

Annecy, 6. April 1601 (OEA VII,373-376; DASal 9,100-102)

Herr, den du liebst, der ist krank (Joh 11.3).

Dieses Gebet ist kurz, aber schön und gut geformt. Der Anlaß war die Krankheit des Lazarus: Da war einer krank, nämlich Lazarus. Die das Gebet sprachen, waren zwei heilige Frauen: Seine Schwestern schickten zu ihm und ließen ihm sagen.

Das Motiv oder die Begründung, die sie anführen, ist die Liebe: Den du liebst. Die Wirkung war vor allem die größere Ehre Gottes: Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern zur Verherrlichung Gottes. Die Verherrlichung Gottes folgt aus der Auferstehung des Lazarus. Sie ist um so bewunderswerter, 1. weil sie in Gegenwart vieler geschah: Denn viele Juden waren gekommen; 2. weil sie verzögert wurde: Er blieb dennoch zwei Tage an jenem Ort; 3. weil sie sehr feierlich erfolgte: Jesus erhob seine Augen zum Himmel und sagte ... Die zweite Wirkung dieses Gebetes ist, daß die Frauen eine größere Gnade erlangten, als sie erbeten hatten. Sie hatten nur um die Genesung ihres Bruders Lazarus gebeten; Unser Herr erweckte ihn vom Tod.

Der Grund also, weshalb die zwei Schwestern zu Unserem Herrn schickten, ist die Krankheit und das Siechtum des Lazarus. Da war einer krank, Lazarus von Betanien, dem Ort der Maria und Marta. So schickten sie jemand; also baten sie. Ihr Bruder war krank, folglich schickten sie jemand. Sie waren betrübt, deshalb suchten sie Zuflucht beim Herrn.

O heilige Trübsal, gebenedeite Drangsal, die uns beim himmlischen Tröster Zuflucht suchen läßt! Gewiß, unter all den nicht geringen Vorteilen der Drangsal halte ich diesen für einen der hervorragendsten, daß sie uns zu Unserem Herrn zurückfinden läßt. Solange wir im Glück leben, vergessen wir ihn sehr oft; aber im Unglück finden wir zu ihm als unserer einzigen Zuflucht zurück. Wie der Saft der Rebe fault und verdirbt, wenn man ihn zu lange in der Traube läßt, so auch die Seele des Menschen, wenn man sie in ihren Freuden und Vergnügungen beläßt, in ihren Wünschen und Sehnsüchten. Wenn man sie aber bedrängt, dann entströmt ihr der süße Saft der Buße und der Liebe.

So bestätigt der königliche Prophet, daß sich die Hebräer dem Herrn zuwandten, wenn er ihnen Bedrängnisse schickte: Wenn er sie würgte, suchten sie ihn und kamen in der Morgenfrühe zu ihm (Ps 78,34). Das Volk lagerte sich, um zu essen und zu trinken, und erhob sich zum Spiel (Ex 32,6); sie fürchteten sich sehr und schrien zum Herrn (Ex 14,10); und von ihm selbst: Weil deine Hand schwer auf mir lastete, habe ich mich in meiner Not bekehrt, als der Dorn mich stach (Ps 32,4). Trübsal und Leid habe ich gefunden und habe den Namen des Herrn angerufen (Ps 116,3 f). Bedecke ihr Gesicht mit Schmach, Herr, und sie werden deinen Namen anrufen (Ps 83,17), heißt es von den gottlosen Feinden der Kirche. So wandte sich Kaiser Valens an den hl. Basilius, den er verfolgt hatte, als sein Sohn krank war; und der Präfekt Modestus, der denselben Heiligen mit dem Tod bedroht hatte, kam in seiner Krankheit ebenfalls zu ihm (Gregor v. Nazianz, in Monodia de Sto Basilio, Oratio 63, § 54).

Als Jona frei war, floh er vor dem Angesicht des Herrn; im Bauch des Fisches nahm er seine Zuflucht bei ihm (Jona 1,3; 2,1f). Beispiel vom Fleisch, das im Salzwasser nicht verdirbt, wohl aber im süßen. Was von David gesagt werden kann, sagt der hl. Augustinus (Enarr. in Ps 1. § 4): Während er verfolgt wurde, verfaßte er seine Psalmen, im Frieden sündigte er. Ebenso die Arche Noachs (Gen 7,17): Die Wasser stiegen und hoben die Arche in die Höhe. Hiskija bekehrte sich in der Krankheit zu Gott (Jes 38,1f).

Herr, den du liebst, der ist krank. Ein schönes Beispiel dafür, wie man sich an Gott wendet; aber man muß es mit Vertrauen tun wie diese frommen Frauen. Unser Herr ist fern; sie lassen ihm nur sagen: Ecce quem amas, infirmatur; Den du liebst, der ist krank.

Bedingungen für das Gebet

Meine Seele läßt sich nicht trösten (Ps 77,3). Ich setze meine Hoffnung nicht auf meinen Bogen; mein Schwert wird mich nicht retten; aber in deinem Namen werden wir unsere Verfolger verachten. Sie kommen auf Wagen und Rossen, wir aber rufen den Namen Gottes, unseres Herrn an (Ps 20,8).

Weil er seine Hoffnung auf mich gesetzt hat, werde ich ihn befreien (Ps 91,14). Als David von Saul verfolgt wurde (1 Sam 19), sagte er: Ich vertraue auf den Herrn (Ps 11,1). Es ist besser, auf den Herrn zu vertrauen, als sich auf einen Menschen zu verlassen (Ps 118,8). Erbarme dich meiner nach deiner großen Barmherzigkeit (Ps 51,1). Preist den Herrn, denn er ist gut (Ps 118,1). Deshalb lehrt er uns beten: Vater unser (Mt6, 9); und den verlorenen Sohn: Vater, ich habe gesündigt (Lk 15,18); und die Frauen: Den du liebst, der ist krank. Wie wird der nicht alles gewähren, der seinen Sohn hingegeben hat (Röm 8,32)?

Bekenntnis unseres Elends

Den du liebst, der ist krank. Ps 8,5: Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst? Ps 136,23: In unserer Erniedrigung hat er unser gedacht. Das lehrt uns der Herr, der sich im Ölgarten auf sein Angesicht niederwarf (Mt 26,39). Jakob: Herr, ich bin all dein Erbarmen nicht wert (Gen 32,10).


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