Zum Fest der Kreuzauffindung

Annecy, 03. Mai 1594 (OEA VII,231-239; DASal 9,56-61)

Ferne sei es von mir, mich zu rühmen, außer im Kreuz unseres Herrn Jeseus Christus, durch den mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt (Gal 6,14).

Wenn schon der Prophet Jona so sehr getröstet war durch den Wunderbaum, den der Herr für ihn wachsen ließ, daß die Heilige Schrift (Jona 4,6) von ihm sagt: Und Jona freute sich sehr über den Wunderbaum, wie groß muß dann erst die Freude der Christen sein über das hochheilige Kreuz Unseres Herrn, unter dem sie viel mehr Schatten finden als Jona durch den Wunderbaum. Sie haben hier mehr Schutz und Sicherheit als Jona unter dem Wunderbaum. So können wir also sagen: Mag Jona unter dem Wunderbaum wieder froh werden, mag Abraham unter dem Baum den Engeln ein Mahl bereiten (Gen 18,4-8), mag Ismael unter dem Strauch in der Wüste erhört werden (Gen 21,15f); mag Elija in der Einsamkeit unter dem Ginsterstrauch Nahrung erhalten (1 Kön 19,4f): wir suchen keinen anderen Schatten als den des Kreuzes, kein anderes Mahl, als uns hier bereitet ist. Ihm gelten unsere Tränen und unser Rufen. Wir wollen keine andere Nahrung als die Früchte des Kreuzes. Es sei uns ferne, uns in irgendetwas anderem zu rühmen.

Was bedeutet es nun tatsächlich, sich einer Sache zu rühmen? Es bedeutet, sich ihretwegen hochschätzen, eine hohe Meinung von sich haben, ihretwegen sich für glücklich und stark halten. Jeder rühmt sich der Dinge, in denen er sich groß dünkt, sagt der gelehrte Doctor angelicus, der hl. Thomas. Die Güter nun, in denen wir uns für groß erachten, sind von dreierlei Art: Werte der Seele, des Leibes, des Glückes. Der eine rühmt sich seines Wissens, der andere seiner Gesundheit, Kraft und Schönheit, jener seiner Anlagen, seines Ranges und seines Reichtums. Wozu aber? O Eitelkeit der Eitelkeiten; alles ist Eitelkeit (Koh 1,2). Der Mensch vergeht wie der Schatten (Ps 38,7). Was das Wissen betrifft, gleicht er unvernünftigen Tieren (Ps 48,13.21); was den Leib betrifft: Staub ist er (Gen 3,19); von Reichtum und Glücksgütern gilt: Die Welt vergeht samt ihrer Lust (1 Joh 2,17). So kommt es also dazu, daß man sich wegen so nichtiger Dinge rühmt und für groß hält. Doch im Kreuz Unseres Herrn, welche Ehre! Wenn Er, der groß war, weil er Gott ist, in ihm seine Erhöhung findet (Joh 3,14; 12,32), seine Verherrlichung (Joh 12,23; 17,1), wenn er es das Tor zu seiner Herrlichkeit nennt (Lk 24,26), was bleibt euch dann anderes zu tun, was bleibt mir anderes zu sagen als: Habt in euch die gleiche Gesin- nung, wie sie auch in Jesus Christus war. Obwohl er in der Gottesgestalt war, glaubte er dennoch nicht, gewaltsam an seiner Gottgleichheit festhalten zu müssen. Vielmehr entäußerte er sich selbst; deshalb hat Gott ihn so hoch erhoben ... (Phil 2,5f.9).

Doch betrachten wir ein wenig, welche Art von Ehre Unser Herr durch das Kreuz gewann. Lest eifrig in diesem Buch des Kreuzes, und ihr werdet den Ruhm begreifen, den Unser Herr in ihm erwarb. Findet es nicht befremdend, daß ich euch auf dieses Buch verweise, um hier eure Lektion zu lernen; denn es ist das vortrefflichste Buch von allen, die jemals geschrieben wurden. Wer daher den Ruhm des Wissens erstrebt, der nahe ihm in heiliger Absicht und lese in diesem heiligen Buch; er wird hier die tiefste Lehre finden, die es je gab. Denn was könnte ich je Herrlicheres sagen, als was ich jetzt sagen will? Daß Unser Herr selbst in diesem Buch etwas erfahren hat, was er noch nicht wußte, eine Erfahrung, die er in seiner ganzen Ewigkeit noch nicht gemacht hatte. Von dieser Erfahrung sagt der hl. Paulus im Hebräerbrief (5,8): Aus dem, was er gelitten hat, lernte er Gehorsam. Will man sich also des Wissens rühmen, so sei es in diesem Buch des Neuen Bundes.

Wo der hl. Paulus im Hebräerbrief (9,19) berichtet, wie der Alte Bund begründet wurde, sagt er: Nachdem Mose alle Gebote des Gesetzes vorgelesen hatte, nahm er das Blut der Rinder und Böcke mit Wasser, roter Wolle und Ysop; damit besprengte er das Buch selbst und alles Volk. Das alles aber geschah ihnen als Gleichnis (1 Kor 10,11). Und was ist im Neuen Bund das Buch, das Unser Herr mit seinem Blut besprengte, wenn nicht das Kreuz? An ihm rief er mit lauter Stimme: Vater, vergib ihnen. In deine Hände ... (Lk 23,34.46), nachdem er alle Gebote des Gesetzes verkündet hatte, das in nichts anderem besteht als darin: Du sollst den Herrn lieben ... (Dtn 6,7; Mt 22,37), und: Ein neues Gebot gebe ich euch: daß ihr einander liebt (Joh 13,34). Er besprengte die ganze Welt mit seinem Blut durch die Einsetzung der heiligen Sakramente, besonders jenes des Altares.

Das Kreuz ist das wahre Buch der Christen. Ich rufe dich zum Zeugen an, hl. Bernhard, du gütiger und frommer Lehrer; denn wo anders als in diesem Buch hättest du die Kenntnis der überaus milden und köstlichen Lehre gewonnen, von der du uns die heiligen Unterweisungen hinterlassen hast, indem du (Sermo 43 in Hld § 3) sagst: Mein Geliebter ist mir ein Myrrhenstrauß? Ich rufe dich zum Zeugen an, großer hl. Augustinus; zwischen den beiden Geheimnissen der Geburt und der Passion stehend, kannst du sagen: Hinc lactor ab ubere, hinc pascor a vulnere (einerseits werde ich von der Brust mit Milch genährt, andererseits werde ich aus der Wunde erquickt). Ich rufe dich zum Zeugen an, serafischer hl. Franziskus; denn nur aus diesem Buch hast du die heiligen und bewundernswerten Sätze deiner Predigten und Gespräche gewonnen. Ich berufe mich auf dein Zeugnis, engelgleicher hl. Thomas; nie hast du zu schreiben begonnen, ohne deine Zuflucht zum Kreuz zu nehmen. Und du, überaus heiliger serafischer Lehrer Bonaventura, scheinst mir kein anderes Blatt gekannt zu haben als das Kreuz, keine andere Feder als die Lanze, keine andere Tinte als das Blut meines Erlösers, als du deine gottbegnadeten Opuscula schriebst. Welch schöne Stelle ist dein Satz (Stim. amoris, c. 1): „Wie gut ist es, beim Kreuz zu sein; hier will ich drei Hütten bauen (Mt 17,4): eine in seinen Händen, die andere in seinen Füßen und die dritte in seiner Seitenwunde. Hier will ich ruhen, will ich wachen, will ich lesen, will ich sprechen.“

Hier hat auch die fromme Magdalena ihre heiligen Gedanken gefaßt, die sie später den Provencalen mitteilte; hier ebenfalls die fromme Katharina von Siena, die uns, noch später, ihre frommen Erinnerungen hinterlassen hat.

Was aber veranlaßt uns, in einer so klaren Sache so viele Zeugen anzuführen? Unser Herr will, daß wir gründlicher als alles andere die Sanftmut und die Demut kennenlernen (Mt 11,29). Wohin sonst wollt ihr gehen, um sie kennenzulernen, wenn nicht zum Kreuz? Von ihm schrieb der hl. Paulus, der weiseste aller Menschen, die je waren: Ich erachte es als richtig, nichts zu kennen als Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten (1 Kor 2,2).

Ich habe ausführlich über diese erste Art gesprochen, wie wir uns im Kreuz rühmen müssen, um euch zu beschwören, daran alle Tage immer wieder zu denken, sooft ihr könnt, ebenso nachts jedesmal, wenn ihr aufwacht. Lest also in diesem göttlichen Buch, das euch die Wissenschaft des Heiles lehrt; aus ihm hat Jesus Christus selbst den Gehorsam gelernt, der Gott gebührt. Das ist die erste Aufgabe, die wir haben: uns im Kreuz zu rühmen.

Nun zur zweiten Art des Rühmens. Sie beruht darauf, daß hier unser Heil ist, daß Unser Herr uns im Kreuz erlöst hat. Denn obwohl alle Akte seines Lebens, selbst die geringsten, unendlich hinreichend waren, unser Heil zu wirken, war es dennoch der Wille seines göttlichen Vaters und sein eigener, daß es nicht anders vollendet werde als im Kreuz. Grund genug, uns seiner zu rühmen! Ferne sei es von mir, mich zu rühmen ...In ihm finden wir uns außerdem wiederhergestellt in der ganzen Gesundheit, Kraft und Schönheit der Seele und des Leibes, denn unsere Unsterblichkeit und unsere Auferstehung hängt von ihm ab.

Lest also von neuem in diesem Buch, und ihr werdet da den Namen Jesus finden (Joh 19,19). Er bedeutet Erlöser, uzw. Erlöser, der sein Volk von seinen Sünden heilt (Mt 1,21). Lest weiter, und ihr findet: Nazarener! das bedeutet „blühend“. Das ist ein weiterer Grund zum Rühmen; denn durch das Kreuz ist unsere Seele geschmückt mit den schönen, heiligen Blumen so vieler Tugenden, so vieler duftender Kränze. Hier war Unser Herr die Rose des Martyriums, das Veilchen der Erniedrigung, die Lilie der Reinheit. Er war nicht nur selbst rein, sondern machte auch rein: Unser Lager ist mit Blumen bedeckt (Hld 1,15). Schöner Weißdorn, in deinen Zweigen wohnen die Vögel des Himmels der Kirche in der Betrachtung, hier zwitschern sie lieblich in heiligem Lobpreis. Ferne sei es von mir ... Denn wenn man sich der Schönheit rühmen kann, welche Schönheit ist mir doch durch das Kreuz verliehen! Wie habe ich doch ein Wasser gefunden, das mich nicht nur weiß und rein, sondern außerdem strahlend macht: „In ihm ist unser Leben, unser Heil und unsere Auferstehung“ (Introitus).

Schließlich werdet ihr hier lesen: König der Juden. Alle Christen sind Juden und Kinder Abrahams nach dem Schriftwort (Röm 9,8; Gal 3,7): Die Kinder der Verheißung werden als Nachkommen betrachtet. Dieses Königreich steht ihm von Natur aus zu und durch das Verdienst am Baum des Kreuzes: Deshalb hat Gott ihn auch erhöht ...; daß im Namen Jesu jedes Knie sich beuge (Phil 2,9f). Deshalb hüllt bei seinem Tod die ganze Welt sich in Trauer (Mt 27,45.51; Lk 23,44f) und verkündet, daß ihr König gestorben ist. Das war durch David (Ps96,9f) vorhergesagt worden: Bei seinem Anblick wird die ganze Welt erzittern; verkündet unter den Völkern, daß der Herr vom Holz her regiert. O heiliges Königreich! Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alles an mich ziehen. Jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgestoßen (Joh 12,32.31). Die Kirche, die er mit seinem Blut erkauft hat (Apg 20,28).

Welche Ehre für uns, christliche Zuhörer, daß wir durch das Kreuz und im Kreuz aus dem Reich der Unterwelt in das Königreich des Himmels versetzt sind, das Unser Herr, der erhabenste König der Welt, uns verliehen hat. Welche Ehre aber erst, daß wir selbst darin Könige und Erben des himmlischen Reiches geworden sind. Er ist Christus, wir aber sind die Christen: Erben Gottes und Miterben Christi (Röm 8,17). Ihr Christen, wenn ich euch je verwehrt hätte, euch zu rühmen, so widerrufe ich das. Seid fortan stolz darauf, daß ihr zu diesem Erbe berufen seid. Fühlt ihr nicht das Herz sich weiten, wenn man euch sagt, daß ihr Könige seid? Wenn ihr wollt, sagt also: Alle Reichtümer der Welt sind überhaupt nicht zu vergleichen mit dieser Königswürde, denn sie werden vergehen, man kann sich ihrer nicht freuen; dieses aber gehört uns ganz. Ferne sei es also von mir, mich zu rühmen ...

Die große Herrlichkeit des Kreuzes macht es für jedermann ehrwürdig. Deshalb wollte Gott, daß Helena, die Mutter Konstantins des Großen, es suchte. Sie kam ausdrücklich dazu nach Jerusalem, um es zu finden. Als sie es gefunden hatte, wurde ihm sogleich in der ganzen Kirche große Ehre erwiesen. Wer wollte in der Tat eine so bedeutende Reliquie nicht ehren, ein so außergewöhnliches Zeichen der Liebe des Gottessohnes. Gern würde ich euch eine schöne Belehrung des hl. Bonaventura über die Verehrung des Kreuzes vortragen; aber ich will zum Schluß kommen. Es genügt, daß wir das Kreuz nicht aus Liebe zum Kreuz verehren, sondern aus Liebe zu Dem, dem es angehört. Die Ehre, die wir dem Kreuz erweisen, gefällt dem Gekreuzigten überaus. Wir verehren das Kreuz nie anders als in der Absicht, den Gekreuzigten zu ehren. Zu eurem Trost gebe ich euch den Rat: wenn ihr das Kreuz anschaut, sollt ihr stets den Gekreuzigten an ihm sehen. So wird euch dieser Baum viel ehrwürdiger, wenn ihr an ihm seine erhabene Frucht hangen seht; ebenso die Dornen mit der Rose und der Weißdorn mit der Nachtigal, die in ihm wohnt.

Schließlich: laßt die Gegner reden! Viele wandeln, wie ich euch oft gesagt habe, als Feinde des Kreuzes Christi (Phil 3,18). Alles, was mich an Unseren Herrn erinnert, halte ich in Ehren; jedes Bild des Kreuzes muß in Ehren gehalten werden. Sagen wir also, daß das Holz des heiligen Kreuzes einzigartig ehrwürdig ist. Wenn geschrieben steht: Ich will anbeten an dem Ort, wo seine Füße standen (Ps 132,7; 99,5), wie sollten wir nicht verehren, worauf der ganze Leib lag? Deshalb heißt es (Ps 132,8) weiter: Erhebe dich, Herr, zur Ruhe. Und wenn man, wie der hl. Hieronymus sagt, das Bundeszelt mit solcher Ehrfurcht behandelt, um wieviel mehr das Holz des Kreuzes, auf dem der Leib des Gottmenschen ausgestreckt war, das von seinem kostbaren Blut benetzt, gefärbt und durchtränkt wurde. Daher ist der christliche Brauch heilig. Der hl. Chrysostomus sagt darüber: „Dieses Holz wird so in Ehren gehalten, daß jene, die ein Teilchen davon erhalten können, es in Gold fassen und es sich um den Hals hängen.“

Ich komme auf Helena zurück, die Zierde der Fürstinnen, die dieses heilige Holz mit solcher Sorgfalt, Mühe und Anstrengung suchte und es fand. Sie kam zum Kalvarienberg, wo die Heiden ein Standbild der Venus errichtet hatten. Beachtet den Gegensatz: am Ort der Krippe hatten sie Adonis aufgestellt, an der Stelle des Grabes Jupiter; Helena aber entfernte das alles und brachte diese heiligen Gedenkstätten wieder zu Ehren. Laßt uns sehen, ob wir auf unserem Kalvarienberg, d. h. in unserem Kopf und Verstand den festen Glauben bewahrt haben, der uns in der Taufe dort eingepflanzt wurde, oder ob wir nicht ein Götzenbild der Venus in unserer Phantasie errichtet haben; ob wir in unserem Gedächtnis, dem die heilige Hoffnung gegeben wurde, nicht Adonis aufgestellt haben; in unserem Willen, dem Gott die Liebe verliehen hat ... Laßt uns nach dem Vorbild Helenas diese fluchbeladenen Bilder der Welt entfernen, diese eitlen Eindrücke zerstören, und an ihrer Stelle das Kreuz aufrichten, indem wir sagen: Ferne sei es von mir, mich zu rühmen ..., denn es ist unsere Rettung. Als Konstantin in den Krieg zog, hörte er die Stimme (Gottes): „In diesem Zeichen wirst du siegen.“ Ebenso will er, daß wir siegen: Du hast angeordnet, daß wir durch die Waffen deines Sohnes triumphieren (Postcomm.). Der Tag lädt uns ein, der Ort spornt uns an, die Zeit drängt uns dazu, denn unsere Bedrängnis ist noch nicht beendet.

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