PREDIGT zum 4. Ostersonntag - LJB

"Der Gute Hirte" (Joh 10, 11-18)

Liebe Schwestern und Brüder,

der Gute Hirte … so stellt sich uns Jesus Christus im heutigen Evangelium vor. Er ist der gute Hirt, der bereit ist, sein Leben für die Seinen zu opfern. Der uns genau kennt und der auch andere Schafe suchen und einladen will, die nicht zu ihm gehören. Das ist nicht nur ein Bild von Christus, das Jesus uns hier vorstellt, sondern ein Gottesbild, denn – so sagt Christus an einer anderen Stelle – „ich und der Vater sind eins“.

Und dieses Gottesbild wurde mir persönlich praktisch in die Wiege gelegt – und darüber bin ich sehr froh. Im Schlafzimmer meiner Großmutter über ihrem Bett hing nämlich genau so ein Bild des Guten Hirten mit einer Herde Schafe um ihn herum, und mit einem Schaf auf seinen Schultern. Es war ein sehr beliebtes Bild, das damals eben in sehr vielen Häusern aufgehängt wurde. Meine Großmutter hat es mir immer wieder erklärt. Sie sagte: Das da, der Hirte, das ist der Himmelvater – und die Schafe, das sind wir, und wenn wir einmal zu schwach zum Laufen sind, dann trägt Gott uns auf seinen Schultern. Das hat mir immer sehr gut gefallen.

Jahre später hab ich das auch vom heiligen Franz von Sales gelernt, der in einem Brief schrieb: „Die Schwachen nimmt Gott in seine Arme, die Starken führt er an seiner Hand.“ Um diese Aussage näher zu erklären, nimmt er dafür aber lieber das Bild der liebenden Mutter, die für ihr Kind sorgt. Er meinte, damit den Menschen seiner Zeit besser deutlich machen zu können, was der „Gute Hirte“ tatsächlich bedeutet, und ich glaube, wir können das auch heute gut nachvollziehen. Franz von Sales schreibt also Folgendes: „Wenn eine besorgte Mutter mit ihrem kleinen Kind ausgeht, so hilft sie ihm und stützt es, wie das Kind es braucht. Auf ebenen, ungefährlichen Wegen lässt sie das Kind einige Schritte allein gehen, dann nimmt sie es wieder an der Hand und hält es fest oder sie nimmt es auf den Arm und trägt es. So verfährt auch der Herr mit unserer Seele. Unaufhörlich ist er um jene besorgt, die seine Kinder sind.“ So ist Gott … So ist Gott zu uns … der gute Hirte, die liebende Mutter. Er sorgt sich um uns, vor allem dann, wenn wir zu schwach sind, um für uns selbst zu sorgen.

Franz von Sales hat sich dieses Gottesbild als ganz großes Vorbild genommen, als er selbst zum Bischof geweiht wurde. Und er verstand seine bischöfliche Aufgabe so, dass er der Hirte seines Volkes ist, der für die Menschen seiner Diözese da zu sein hat, vor allem für die Schwachen, die Sünder, die Verlorenen. Und er hat es auch seinen Priestern immer wieder eingeschärft, dass sie ihre Hirtensorge nach dem Vorbild des guten Hirten Jesus Christus nicht vernachlässigen dürfen. Ich denke, es wäre sehr gut, wenn sich die Bischöfe, Priester, Diakone von heute, alle, die sich in der Seelsorge engagieren, wieder auf dieses Gottesbild des Guten Hirten besinnen würden, das Jesus Christus uns vermittelt hat. Die Menschen würden dadurch wieder erkennen, dass Kirche für sie da ist, und nicht umgekehrt. Genausogut aber können wir uns selbst einmal fragen, was es für uns, unser Leben und unseren Glauben bedeutet, wenn wir Jesus Christus folgen, der sich selbst als der Gute Hirte bezeichnet – vor allem im Umgang mit jenen, die schwach sind und nicht zu unserem Stall gehören. Am Ende könnte dann aus diesem Christus- und Gottesbild des Guten Hirten ein wunderschönes Kirchenbild entstehen – eine Kirche, in der sich die Menschen wohl fühlen und die den Menschen gut tut. So wie es auch der heilige Franz von Sales einmal in einer Predigt über den guten Hirten formulierte: „Christus ist der gute Hirte (Jo 10,11) und der überaus liebenswürdige Schäfer unserer Seelen. Wie glücklich werden wir sein, wenn wir ihn getreu nachahmen und seinem Beispiel folgen.“ Amen.

Herbert Winklehner OSFS


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