PREDIGT zum 4. Adventsonntag - LJ C

„Eine Begegnung von Herz zu Herz“ (Lk 1,39-45)

Liebe Schwestern und Brüder,

Es gibt Besuche, die müssen wir machen, gerade in den kommenden Tagen zu Weihnachten. Viele erwarten den Besuch von uns oder freuen sich sogar darauf, ob es die Eltern, die Tante oder der Onkel sind oder die Enkelkinder. Einige sind pflichtgemäß, ein Muss, aber notwendig. Das gehört sich so. Andere Besuche machen wir gerne. Warum gelingen gerade an Weihnachten oft die Besuche nicht? Vielleicht deshalb, weil der eine nur redet und die andere nur schweigt. So kommt kein Gespräch zustande. Nur wenn ich offen bin für den, den ich besuche, wenn ich zeige, dass ich mich für ihn, für sie interessiere, nur dann kann ein Besuch gelingen und er wird mich bereichern.

Auch Maria macht einen Besuch bei ihrer Verwandten Elisabeth. Dieser Besuch – so macht der Text deutlich – war mehr als eine Pflichtübung. Beide erfahren etwas Außergewöhnliches und wollen sich dies gegenseitig mitteilen. Sie nehmen Anteil am Leben der Anderen, und so kann ihr Besuch gelingen. Maria macht sich auf den Weg. Sie kommt in Be-weg-ung. Etwas, was sie unter dem Herzen trägt, bewegt sie. Sie möchte ihre Freude mit ihrer Verwandten teilen, und sie hat ein persönliches Interesse an Elisabeth und deren Schwangerschaft. Etwas Gemeinsames verbindet die beiden Frauen. – Was bewegt uns, wenn wir zu Anderen gehen? Wollen wir unsere Sorgen bei Anderen abladen? Wollen wir von dem erzählen, was uns innerlich bewegt? Sind wir ehrlich daran interessiert, wie es den Anderen geht, oder nur neugierig?

Als Maria Elisabeth begrüßte, „hüpfte das Kind in ihrem Leib“. Es ist eine Begrüßung aus innerster Freude und Erfüllung. Man spürt die tiefe Verbundenheit, die beide Frauen zusammenhält. Sie lassen sich gegenseitig auf das ein, was den anderen bewegt. – Wie begrüßen wir uns im Alltag? Bleibt es beim oberflächlichen „Hallo-Sagen“ oder bei der alltäglichen Floskel: „Wie geht es Ihnen?“ Manche Menschen umarmen und küssen sich gegenseitig auf die Wange. Ist dies z. Zt. nur eine Modeerscheinung, vor allem bei jungen Leuten? Schon im Begrüßen zeige ich meinen Mitmenschen, wie viel er oder sie mir bedeutet. Was bewegt uns, wenn wir zu Anderen gehen? Der Schriftsteller Hein Kahlau hat es einmal so umschrieben: „Seit ich erlebt habe, dass du mit Gegenständen, weil sie dir gehören, sorgsamer umgehst als mit Menschen, von denen du vorgibst, sie zu lieben, weiß ich sicher: Was immer du zu deinem Vorteil begriffen hast – vom Christentum hast du nichts begriffen.“ Mit welcher Einstellung begegnen wir den Menschen?

Ja, und dann kommt es zu dieser tiefen Begegnung zwischen den beiden Frauen. Es kommt zu einer Begegnung von Herz zu Herz! Es ist eine Begegnung von zwei glaubenden Menschen, die vielleicht noch nicht alles, was geschehen soll, begreifen können, die aber spüren, dass Gott mit ihnen etwas Großes geplant hat. Diese Erfahrung lässt Elisabeth zu dieser ehrfürchtigen Begrüßung finden, und Maria gibt den Lobpreis im Magnifikat weiter.

Elisabeth preist Maria selig, weil sie geglaubt hat, was der Herr ihr sagen ließ. Die Größe Marias besteht in ihrem Glauben. Ihr Glaube war kein fester Besitz. Sie wusste am Anfang noch nicht, wozu sie Ja gesagt hatte. Sie musste ihren Glauben in vielen Dunkelheiten bekräftigen. Sie hat vieles nicht verstanden oder nicht gleich verstanden, was Gott über sie kommen ließ: die Geburt des Kindes unterwegs, die Flucht in ein fernes Land, das für sie sicher manchmal seltsam anmutende Verhalten ihres Sohnes, sein leiden und Sterben. Ihr Glaube musste sich bewähren. Es war ein Glaube durch Nebel und Nacht hindurch.

 Ihr Leben war nicht umgeben von lauter Wundern, wie es fromme Legenden beschrieben haben. Auch sie, die wie kein anderer Mensch Begnadete, hat ihr Leben als den Weg eines Pilgers erfahren. Aber sie ist diesen Weg in treuem Glauben gegangen. Darin ist sie die Große, die Mutter der Glaubenden, Vorbild und Hilfe der Glaubenden. – Offen sein für Gott im Alltag unseres Lebens, auf Gott hören, auf sein Wort vertrauen, auch wenn wir ihn nicht begreifen – darin bewährt sich unser Glaube. Nichts anderes ist christliches Leben.

Begegnungen sind etwas Alltägliches. Es gibt zufällige Begegnungen auf der Straße, im Bus oder im Geschäft. Da treffen wir einen Bekannten und reden mit ihm kurz über Gott und die Welt oder das Wetter. Es gibt die Begegnungen in der Ehe und Familie und unter Freunden. Da kann es manchmal zu ganz tiefgehenden Gesprächen kommen. Wie begegnen wir uns? Wie gehen wir miteinander um? Wir leben in einer Zeit, in der ganz verschiedene Lebensformen praktiziert werden. Es gibt nicht nur die Normalfamilie, sondern auch das Leben im Kloster, das Single-Dasein oder gleichgeschlechtliche Paare. Die Sehnsucht nach echten menschlichen Begegnungen ist groß. Nach dem Ergebnis einer Shell-Jugendstudie sehnen sich 95% der 12-25jährigen Befragten nach Gemeinschaft, Geborgenheit und Familie.

Viele begegnen sich in den kommenden Weihnachtstagen. Wir stehen am Ende der Adventszeit. Advent – das ist auch die Vorbereitung auf die Begegnung mit Jesus. Weihnachten heißt: Gott begegnet uns Menschen, nicht flüchtig, nicht vorübergehend, sondern bleibend. Ihm können wir nicht nur an Weihnachten, sondern immer wieder neu im Mitmenschen begegnen und auch im Wort und Sakrament. Weihnachten lädt uns ein, den Wert der Begegnung neu zu erfahren. In der Art, wie sich die beiden Frauen bewegen lassen, sich suchen, auf den Weg machen, sich begrüßen, geschieht echte menschliche und freudige Begegnung. Mögen Sie im Alltag immer wieder einmal ein wenig von dieser Freude bei Ihren Begegnungen mit den Menschen erfahren. Das wünsche ich Ihnen von Herzen.

P. Hans-Werner Günther OSFS


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