PREDIGT zum 13. Sonntag i. Jk. - LJ A

Das Kreuz bleibt ein Rätsel (Mt 10,37-42)

Liebe Schwestern und Brüder,

Jesu Liebe zu seinem Vater und zu uns gipfelt in seiner liebenden Hingabe für uns am Kreuz: „Eine größere Liebe hat niemand, als dass einer sein Leben hingibt.“ (Joh 15,13) Jesus stirbt aus Liebe zu uns am Kreuz. Das Kreuz ist die logische Konsequenz seines Lebens. Der hl. Franz von Sales (1567-1622) sieht im Kreuz die Quelle der Kraft für das geistliche Leben. Das Kreuz ist nach Franz von Sales insofern verehrungswürdig, als Jesus aus Liebe zu uns Menschen am Kreuz sein Blut und Leben hingegeben hat. „Es ist nicht der Stein oder das Holz, was der Katholik anbetet, sondern der König, gestorben am Kreuz, der mit seinem Blut das Kreuz ehrt.“ (Franz von Sales)

Jesus fordert uns heute im Evangelium auf das eigene Kreuz auf sich zu nehmen. „Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. (Mt 10, 38) Wie kann man diesen Satz verstehen. Ist und bleibt er nicht ein Rätsel, das in dieser Welt nicht aufgelöst werden kann? Werden mit diesem Satz das Kreuz und alles, was damit zusammen-hängt (Leid, Schmerzen, Tod usw.) nicht verherrlicht und verharmlost? Um es kurz zu ma-chen. Ich glaube das nicht. Aber das Kreuz ist und bleibt eine Realität in unserer Welt. Auch wenn unser Kreuz nicht aus zwei vertikal und horizontal ausgerichteten Holzbalken besteht, so hat doch jeder sein Kreuz zu tragen und das kann viele Namen haben: Tod, Schmerzen, Krankheit, Streitigkeiten, Unfrieden, Ängste, Sorgen, Armut etc. In diesem Zusammenhang ist es nur allzu menschlich, wenn wir meinen, dass die Anderen ein kleineres Kreuz zu tragen haben. Aber es bleibt dabei: Jeder hat sein Kreuz, das heißt, eines, das genau zu ihm passt, weil es seiner Eigenart sorgfältig angemessen ist, zu tragen. Es gibt eine alte Legende, die uns dies veranschaulichen kann. Sie erzählt von einem Mann, der sich bei Gott über sein Kreuz beklagte. Da führte ihn Gott in einen großen Raum, in dem alle Kreuze der Menschen ver-sammelt waren, und ließ ihn wählen. Jener machte sich auf die Suche. Hier erblickte er ein dünnes, aber dafür war es länger als die anderen; dort stieß er auf ein kleines, doch es war schwer wie Blei. Dann stand er vor einem, das ihm zusagte; aber genau an der Stelle, wo es auf der Schulter auflag, zeigte es eine scharfe Spitze, die wie ein Dorn aussah. Er brauchte ziemlich lange, bis er schließlich eines entdeckte, an dem er fast vorbeigelaufen wäre. „Das ist genau das Richtige“, sagte er zu sich selbst. „Genau das, was du tragen kannst!“ Doch kaum hatte er das gesagt, da traute er seinen Augen nicht; denn es war jenes Kreuz, das er bislang getragen hatte.

Was sagt uns diese Legende? Es ist gerade das eigene Kreuz, das wir oft am wenigsten ver-stehen. Deshalb wehren wir uns dagegen. Entweder werfen wir es ab; doch wer sein Kreuz abwirft, findet sicher ein anderes, das unter Umständen noch unbequemer ist. Oder wir tragen es widerwillig; wer aber sein Kreuz nur widerwillig trägt, macht es nur noch schwerer: Nur wer sein Kreuz gern annimmt und mit ihm in Freundschaft lebt, wird erfahren, das sein Kreuz ihn selber trägt.

Der heilige Franz von Sales hat einmal einen wunderbaren und zugleich tröstlichen Gedanken über „dein Kreuz“ geschrieben: „Gottes ewige Weisheit hat von Ewigkeit her das Kreuz erse-hen, das Er dir als ein kostbares Geschenk aus Seinem Herzen gibt. Er hat dieses Kreuz, bevor Er es dir schickte, mit Seinem allwissenden Augen betrachtet, es durchdacht mit Seinem gött-lichen Verstand, es geprüft mit Seiner weisen Gerechtigkeit, mit liebenden Armen es durch-wärmt, es gewogen mit Seinen beiden Händen, ob es nicht einen Millimeter zu groß und Mil-ligramm zu schwer sei. Und Er hat es gesegnet in Seinem allheiligen Namen, mit Seiner Gna-de es durchsalbt und mit Seinem Troste es durchduftet. Und dann noch einmal auf dich und deinen Mut geblickt – und so kommt es schließlich aus dem Himmel zu dir als ein Gruß Got-tes an dich, als ein Almosen der allbarmherzigen Liebe.“

Und trotzdem! Auch wenn dies sich alles so schön anhört, das Kreuz ist und bleibt ein Zei-chen der Provokation, der Zumutung, des Todes, des Protestes und des Widerspruchs. Ja, es ist ein Zeichen des Todes und es bleibt anstößig!!! Wir können das Kreuz aus unseren Ge-richtssälen entfernen, es aus den Klassenzimmern verbannen, in unseren Häusern und Woh-nungen abhängen – aber aus unserem Leben können wir es nicht verdrängen – das Kreuz ge-hört zu unserem Leben, so wie es im Leben Jesu dazugehört hat.

Das Kreuz als Zeichen der Zumutung betrachten bedeutet: Ich lasse mich durch dieses anstö-ßige Zeichen immer wieder anstoßen, nach Gott und nach Jesus zu fragen. Das Kreuz als Zei-chen des Todes betrachten bedeutet: Ich werde mit dem Tod Jesu konfrontiert – und mit mei-nem Glauben, der keine Erlösung vom Tod verspricht, sondern Erlösung im Tod. Das Kreuz als Zeichen des Protestes betrachten bedeutet: Wenn ich wirklich erlöst und befreit bin, dann brauche ich mich nicht mit der Wirklichkeit abzufinden, wie sie jetzt ist. Ich werde provoziert zu einem Kreuzweg gegen Ungerechtigkeit, gegen Not und Elend, das nicht hingenommen werden muss. Ich versuche, mich im Namen des Gekreuzigten vor die zu stellen, die heute geschunden und aufs Kreuz gelegt werden.

An dieser Stelle eine kleine Erfahrung aus meinem Alltag als Seelsorger. Vor einigen Jahren habe ich als Kaplan in der Pfarrei eine alte Dame besucht, die bettlägerig war. Sie wohnte alleine in ihrem Haus. Ich habe ihr jeden Monat die Kommunion gebracht. Als ich an ihrem Bett saß sagte sie: „Wissen Sie Herr Pater, wenn es mir mal ganz schlecht geht, dann schaue ich auf die Wand auf der anderen Seite des Zimmers.“ Ich schaute auf diese Wand und sah ein Kreuz. Und weiter sagte die alte Frau: „Wenn ich diesen Jesus am Kreuz betrachte, dann trös-tet mich das sehr. Denn er weiß um meine Schmerzen!“

Auch wenn das Wort vom Kreuz uns oft ein Rätsel bleibt, wenn uns dieses „Kreuzworträtsel“ ein Leben lang begleitet, und auch wenn wir die Herausforderung des Kreuzes nur bruch-stückhaft einlösen – ich glaube, wir können trotzdem spüren und ahnen, dass dieses Kreuz das große Plus-Zeichen in unserem Leben ist, weil es das Scheitern nicht verschweigt und trotz-dem darüber hinausblicken lässt.

Pater Hans-Werner Günther OSFS


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