Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
Ausgabe Mai/Juni 2002


Durch Liebe Genf zurückerobern

P. Herbert Winklehner OSFS

Jeder Bischof macht wohl im Laufe seiner Amtszeit die Erfahrung, dass er für etwas den Kopf hinhalten muss, wofür er eigentlich gar nichts kann. Er ist eben Repräsentant einer Diözese und damit öffentliche Person, die nicht nur religiös, sondern auch politisch gedeutet wird. Franz von Sales ging es nicht anders, ja im Grunde war dies seine erste Erfahrung unmittelbar nach seiner Bischofsweihe.

Eine Zeitbombe
Die politische Situation seiner Diözese Genf ähnelte einer Zeitbombe. Franzens politischer Vorgesetzter, der Herzog von Savoyen, Karl-Emmanuel, hat zeit seines Lebens versucht, die Stadt Genf, die sich in Händen der Calvinisten zur freien Stadt erklärt hatte, in seinen Einflussbereich zurückzuerobern, wenn notwendig mit Gewalt. Da Franz von Sales jahrelang im Chablais, dem Landstrich südlich von Genf, versuchte, die Calvinisten zum katholischen Glauben zurückzuführen, war allseits bekannt, dass es auch ihm ein Anliegen war, Genf, die Hochburg des Calvinismus, zu erobern … allerdings nicht mit den Waffen der Gewalt, sondern den Waffen der Liebe und des Gebetes. Das war auch das Thema seiner ersten öffentlichen Rede vor dem Domkapitel, dem er als Domprobst vorstand: "Durch Liebe müssen die Mauern Genfs erschüttert werden, durch Liebe muss der Einbruch erreicht, durch Liebe muss Genf zurückgewonnen werden."
Nun wurde Franz von Sales am 8. De-zember 1602 zum Bischof geweiht und wenige Tage später, in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember kam es zur in Genf noch heute berühmten "Eskalade". Was geschah damals?

Der Angriff
In dieser Nacht versuchten Soldaten der herzöglichen Armee unter Führung des Gouverneurs Albigny über die Mauern Genfs in die Stadt einzudringen. Durch die Wachsamkeit der Genfer wurde jedoch diese Aktion frühzeitig entdeckt und vereitelt. Auch wenn schon für damalige Verhältnisse die Opferbilanz nicht sehr groß war – 16 Tote, zwei Schwerverletzte, 25 leichter Verletzte – so gerieten doch die Genfer dadurch dermaßen in Zorn, dass sie umgehend zum Gegenangriff übergingen und als Vergeltungsmaßnahme weite Teile des Chablais verwüsteten.
Die "Eskalade von Genf" wurde für den Herzog von Savoyen ein militärisches und politisches Desaster. Er selbst wurde wegen der stümperhaften Vorgehensweise zum Gespött in ganz Europa und Genf wurde endgültig als freie, unabhängige Stadt anerkannt. Noch heute erinnert in Genf ein Denkmal an dieses Ereignis. Darauf steht: "Am 12. Dezember 1602 schlug das Volk von Genf die versuchte Eskalade des Herzogs von Savoyen zurück und sicherte sich seine politische und religiöse Unabhängigkeit."

Gerüchte
Selbstverständlich verbreitete sich unmittelbar nach dieser missglückten Erstürmung Genfs das Gerücht, dass der neue Bischof Franz von Sales selbst diese Aktion mit dem Herzog von Savoyen geplant und befürwortet habe. Die Soldaten, so eine verbreitete Mär, hätten sogar Maulesel mit Kerzen und Messgewändern für die Mitternachtsmesse mit dem Bischof im Gepäck dabei gehabt. Nichts davon entsprach der Wahrheit. Franz von Sales selbst war über die militärische Aktion seines Herzogs völlig überrascht und über die Folgen schockiert: "Unsere Nachrichten sind die alten Drangsale; deren größte ist der Verlust von hundert Kirchen im Umkreis von Genf, die fast zerstört sind." Gerüchte sind jedoch hartnäckig, vor allem die bösartigen. Bis heute, 400 Jahre später, kann man immer noch vereinzelt in Biografien und Äußerungen über den hl. Franz von Sales lesen oder hören, dass er selbst einmal der Versuchung unterlegen sei, den katholischen Glauben mit den Mitteln der Gewalt durchzusetzen.
Das scheint zum Schicksal großer Persönlichkeiten zu gehören, dass man ihnen sehr gerne auch Fehler andichtet. Der hl. Franz von Sales hatte sicher auch Fehler und Schwächen, auch als Bischof, für die Eskalade kann er allerdings nach allem, was wir aus den historischen Quellen wissen, nicht verantwortlich gemacht werden. Ihm war völlig klar, dass man mit Waffengewalt nichts erreichen kann. "Alles aus Liebe, nichts aus Zwang" war seine Prämisse, oder, wie er seinem bischöflichen Kollegen der Nachbardiözese Belley, Jean-Pierre Camus, einmal sagte: "Mit einem Löffel Honig fängt man mehr Fliegen als mit einem Fass voller Essig."

P. Herbert Winklehner ist Oblate des hl. Franz von Sales, Chefredakteur der Zeitschrift LICHT und Leiter des Franz Sales Verlages in Eichstätt, Bayern.

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