Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
Januar / Februar 2011

 

Brich auf in ein fremdes Land
Wenn Gott ruft, Vertrautes zu verlassen

Immer wieder fordert Gott Menschen dazu heraus, eingefahrene Wege aufzugeben und neue zu betreten. Franz von Sales sah in dieser Bereitschaft loszulassen, die große Chance, frei für Gott zu werden. P. Hans Werner Günther OSFS berichtet im Folgenden von seinen Erfahrungen damit.

„Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will.“ (vgl. Gen 12,1)
Das ist schon sehr viel verlangt! Vaterland, Verwandtschaft, Vaterhaus – alle drei verlassen und aufbrechen in ein Land, das nur Gott kennt. Warum nur? Warum aus allem Vertrauten aufbrechen? Eine gute Frage! Muss das denn sein? Wenn Gott mit Abraham etwas vorhat, warum macht er das nicht an Ort und Stelle? Warum alles verlassen und aufbrechen in die Fremde?

Wenn Gott etwas vorhat

Immer wieder, wenn Gott etwas vorhatte, hat er Menschen aus dem Gewohnten, Vertrauten herausgerufen auf einen völlig ungewohnten, fremden Weg:
Amos wurde vom Acker hinweggerufen, durfte nicht länger Bauer sein, wie gewohnt, wurde als Prophet zum König geschickt, hatte Israel Gericht zu predigen und das Volk zur Umkehr zu rufen.
Jesus verließ Nazareth, das gewohnte Dorf, als sein besonderer Auftrag begann. Ab da war er unterwegs, heimatlos, ohne festen Wohnsitz. Und er berief Jünger heraus aus ihrer gewohnten Berufsarbeit.
Petrus konnte nicht länger Fischer sein; abgesehen von einer kurzen Unterbrechung ist er nie mehr zurückgekehrt in seinen Beruf. Seine galiläische Heimat hat er irgendwann endgültig verlassen, im weit entfernten Rom hat er schließlich sein Leben hingegeben und dort liegt er begraben.

Ein Gott, der Neues schafft

Warum immer wieder der Ruf Gottes heraus aus dem Vertrauten, Gewohnten? Warum ist immer wieder ein Verlassen gefordert? Warum immer wieder Neu-Aufbruch, Aufbruch in fremdes Land?
Das Vertraute, Gewohnte, unser normales Lebensumfeld, unsere Familie und unsere Umgebung – das alles prägt uns normalerweise sehr stark. In diesen vertrauten Bahnen leben wir, denken wir, planen wir, handeln wir. Das ist ja auch gar nicht schlecht. Aber Gott ist ein Gott, der Neues will und schafft! Gott ist anders, immer wieder anders, als wir es gewohnt sind. Gott ist eben nicht die religiöse Verlängerung dessen, was wir schon immer gedacht und gelebt haben. Das könnte uns vielleicht so passen. „Einen Glauben muss der Mensch ja haben“, sagen wir. Und so setzen wir Gott noch auf unser gewohntes Leben oben drauf. Gott als die religiöse Spitze des Gewohnten. Gott, eingepasst in unsere Lebenssysteme, wie es uns gefällt. Und so geht alles seinen Gang wie schon immer. Wir machen, was wir schon immer gemacht haben. Wir leben, wie wir schon immer gelebt haben. Wir denken, wie wir schon immer gedacht haben. Wir glauben, wie wir schon immer geglaubt haben. Wir sterben, wie wir schon immer gestorben sind. Das Leben geht seinen gewohnten Gang. Aber Gott ist anders, immer wieder anders, als wir es gewohnt sind. Der lebendige Gott ist unvergleichlich, voller Phantasie und Kreativität, das zeigt schon die unendliche Fülle der Schöpfung: Vorher gab es das noch nicht! Gott ist einer, der Gewohntes immer wieder durchbricht. Der Wege führt, die noch keiner gegangen ist. Der Wunder tut, wie sie noch keiner erlebt. Aber dafür musst du loslassen könne, z. B. gerade die Dinge, die uns Menschen am tiefsten prägen und bestimmen: „Vaterland, Verwandtschaft, Vaterhaus“. So war es hier bei Abraham! Das bedeutet ein dreifaches Loslassen für ihn. Ein dreifaches Abschneiden von Gewohnheiten. Das war nicht leicht, sogar schmerzhaft.
Aber Abraham lässt los, verlässt Vaterland, Verwandtschaft, Vaterhaus. Er hat nichts in der Hand außer einem Wort Gottes, einer bloßen Zusage, einer Versprechung: „Ich will dir ein Land zeigen. Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen.“ Und Abraham geht.

Loslassen und Liebe

Loslassen ist nicht leicht. Das wusste auch Franz von Sales, und deshalb rät er, sich mit dem Loslassen oder Loslösen intensiv auseinander zu setzen. Das geht nicht von heute auf morgen. Beispielhaft nennt Franz von Sales das Elternhaus, Verwandte, Schönheit, Gesundheit, die süßen Gefühle der Frömmigkeit, des geistlichen Lebens, Ehre, Hochschätzung und der Ruf. Ihm geht es nicht darum, diese Güter gering zu schätzen oder gar abzuwerten. So schreibt er: „Wir dürfen nicht lieblos werden, noch braucht unsere Zuneigung eine ganz gleichmäßige oder gar gleichgültige zu sein. Zu den Eltern, den eigenen Kindern soll sie tiefer als zu den andern und so den verschiedenen Menschen gegenüber richtig abgestuft sein; den Rang aber bestimmt die Tugend der Liebe.“ (DASal 2, 113) In den geistlichen Gesprächen mit den Schwestern weist er immer darauf hin, dass es gilt, sich im Ordensleben von vielen Dingen zu lösen, damit man frei wird für das Hören auf Gott.
Wer Neues erleben will, muss Altes loslassen. Diese Erfahrung kann ich nur bestätigen. Ich habe diese Erfahrung im letzten Jahr gemacht. Nach achtzehn Jahren Leben und Arbeiten und Beten im Kloster Saarn in Mülheim an der Ruhr bin ich zum 1. Advent 2010 nach Eichstätt ins Salesianum versetzt worden. Hier arbeite ich im Franz-Sales-Verlag und im Salesianischen Zentrum.
Ich musste eine vertraute Umgebung, lieb gewordene Gewohnheiten, Menschen, die mir nahe stehen, verlassen und aufgeben, loslassen. Ich musste mich von vielen Dingen loslösen. Ja, ich kann nur sagen: Wer Neues erleben will, muss Altes loslassen. Und wenn Gott etwas Neues vorhat – so war es ja bei Abraham –, dann gilt erst recht, sich frei zu machen vom Alten und aufzubrechen aus dem Gewohnten in neues Land, „Neuland“ zu betreten.

Eine Frage des Hinhörens

Auch ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt, dass es immer wieder Menschen gab, die loslassen mussten, um Neues erleben zu können. Ob es die ersten Christen im römischen Reich waren, Bonifatius, Mutter Teresa oder Dietrich Bonhoeffer. Natürlich sind wir nicht Bonifatius oder Mutter Teresa oder Bonhoeffer. Aber die Frage gilt auch uns: Wie frei sind wir vom Gewohnten und Vertrauten? Wie frei von „Vaterland, Verwandtschaft und Vaterhaus“, wie frei von unseren Familien- und Heimatbanden? Wie frei sind wir in unserer Frömmigkeit, in unserer Glaubensweise? Wie frei zum Hören auf den lebendigen Gott, der immer noch gut ist für neue Erfahrungen und Wege?
Wir werden auch in der Kirche eine Reihe neuer Wege gehen müssen. Wir können nicht einfach auf dem Standpunkt beharren: „Das war schon immer so. Und so soll es auch bleiben!“ Die Zukunft der Kirche, der Ordensgemeinschaften und der Gemeinden hängt gewiss nicht von neuen Strukturen ab, so wichtig auch solche Überlegungen sind. Die Zukunft im religiösen Leben ist eine Frage des intensiven Hinhörens auf Gott und seinen Ruf und der inneren Freiheit zum Aufbruch. Ohne Loslassen, ohne Loslösung gibt es auch hier keine neuen Wege. Aber es geht, weil Gott mit uns geht.
Ich möchte diese Gedanken beenden mit meinem Primizspruch, den ich vor vierundzwanzig Jahren zu meiner Priesterweihe ausgesucht habe. „Wer nur am Ufer steht, wird nie die Kraft dessen erfahren, der Petrus hat nicht untergehen lassen.“ (vgl. auch Mt 14,22-33)

P. Hans Werner Günther ist Oblate des heiligen Franz von Sales. Er ist Mitarbeiter im Franz-Sales-Verlag und im Salesianischen Zentrum in Eichstätt, Bayern

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