Verschiedene Weisungen über die Übung der Tugenden
Dritter Teil
     
 

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3. Kapitel
Vom Ertragen.

„Euch tut Geduld Not, damit ihr nach Erfüllung des göttlichen Willens die Verheißung erlangt“ (Hebr 10,36). Ja, denn „durch die Geduld wirst du von deiner Seele Besitz ergreifen“, spricht der Herr (Lk 21,19). Darin liegt das große Glück des Menschen, wenn er von seiner Seele Besitz ergriffen hat. Je vollkommener unsere Geduld ist, desto vollkommener besitzen wir unsere Seele.
Denke oft daran, dass der Heiland uns durch Leiden und Dulden erlöst hat; auch wir können unser Heil nur wirken durch Leiden und Kummer, durch möglichst geduldiges Ertragen der Schwierigkeiten, Widerwärtigkeiten und Unannehmlichkeiten.
Begnüge dich nicht mit dem Ertragen dieser oder jener Widerwärtigkeit, sondern sei bereit, alles zu erdulden, was Gott schickt oder zulässt. Manche möchten nur ehrenvolles Leid auf sich nehmen, z. B. im Krieg verwundet oder gefangen, für die Religion verfolgt werden oder in einem siegreichen Prozess verarmen. Sie lieben nicht das Leid, sondern den Ruhm, den es mit sich bringt. Der wahre Dulder, der wahre Diener Gottes erträgt in gleicher Weise das schmachvolle wie das ruhmreiche Leid. Von schlechten Menschen angefeindet, getadelt und angeklagt zu werden, macht dem mutigen Mann nur Freude. Dasselbe von guten Menschen, von Freunden und Verwandten zu erfahren, das tut aber weh. Ich schätze die Ruhe des hl. Karl Borromäus, mit der er lange Zeit hindurch den öffentlichen Tadel eines strengen Ordensmannes hinnahm, höher als alle Angriffe, die er von anderen Seiten erdulden musste. Wie die Stiche der Bienen mehr schmerzen als Mückenstiche, so schmerzt auch das Leid mehr, das gute Menschen zufügen, und ihre Gegnerschaft ist viel schwerer zu ertragen als jede andere; und doch geschieht es oft, dass gute Menschen, beide guten Willens, durch die Verschiedenheit ihrer Ansichten einander große Schwierigkeiten und viel Leid bereiten.
Ertrage nicht nur das Leid als solches, sondern auch alle seine Umstände. Manche möchten das Leid annehmen, nicht aber die damit verbundenen Unannehmlichkeiten. Der eine sagt: „Es macht mir nichts aus, dass ich arm geworden bin, wenn es mich nicht hinderte, meinen Freunden Dienste zu erweisen, meine Kinder gut zu erziehen und standesgemäß zu leben, wie ich wünschte.“ Ein anderer: „Ich würde mir darum keinen Kummer machen, wenn man nicht dächte, ich sei schuld daran.“ Einem dritten wäre es gleich, dass man schlecht von ihm spricht, er würde das geduldig ertragen, wenn nur keiner dieser üblen Nachrede Gehör schenkte. Andere wollen wohl einen Teil der Unannehmlichkeiten ihres Leides auf sich nehmen, aber nicht alle: nicht das Kranksein macht sie ungeduldig, sondern dass sie kein Geld haben, sich pflegen zu lassen, oder auch dass sie ihrer Umgebung zur Last fallen. Ich sage aber: Man muss nicht nur das Kranksein ertragen, sondern auch die Art der Krankheit, wie Gott sie will, wo er sie will, bei welchen Menschen und mit allen Unannehmlichkeiten, die er will. Und so müssen wir auch jedes andere Leid ertragen.
Stößt dir ein Übel zu, dann wende dagegen die Heilmittel an, die möglich und von Gott erlaubt sind. Wer anders handelt, versucht Gott. Hast du getan, was in deinen Kräften steht, dann erwarte ganz ergeben, welchen Erfolg Gott deinem Bemühen bescheiden wird. Ist es sein Wille, dass die Heilmittel das Übel beseitigen, dann danke ihm demütig dafür; gefällt es ihm aber, dass das Übel stärker ist als die Heilmittel, dann opfere es in aller Geduld Gott auf.
Ich folge hier dem Rat des hl. Gregor: Wirst du mit Recht eines Fehlers beschuldigt, den du begangen hast, so gestehe demütig, dass du diese Anklage verdienst. Ist die Beschuldigung falsch, so verteidige dich ruhig und verneine deine Schuld; das bist du der Ehrfurcht vor der Wahrheit und der Erbauung des Nächsten schuldig. Fährt man aber fort, dich zu beschuldigen, obwohl du den wahren Sachverhalt dargelegt hast, dann rege dich nicht darüber auf und versuche nicht mit deiner Entschuldigung durchzudringen; nachdem du deine Pflicht der Wahrheit gegenüber erfüllt hast, musst du sie auch der Demut gegenüber erfüllen. So wirst du weder die notwendige Sorge um deinen guten Ruf vernachlässigen, noch die pflichtmäßige Liebe zum Herzensfrieden und zur Demut.
Klage so wenig wie möglich über das erlittene Unrecht. Gewöhnlich sündigt, wer sich beklagt. Die Eigenliebe lässt uns ja das erlittene Unrecht immer härter empfinden, als es in Wirklichkeit ist. Vor allem beklage dich nicht bei Leuten, die sich leicht aufregen und gleich Schlechtes denken. Wenn du dich schon bei jemand aussprechen musst, damit die erlittene Kränkung wieder gutgemacht werde, oder um dich zu beruhigen, so suche dir dafür besonnene und gottliebende Menschen aus, sonst wird dein Herz nicht erleichtert, sondern noch mehr aufgeregt; statt den Dorn aus deinem Fuß zu ziehen, werden ihn diese Menschen noch tiefer hineinstoßen.
Manche klagen zwar nicht, wenn sie krank oder traurig sind oder beleidigt wurden; sie wollen sich nicht empfindlich zeigen, denn das würde ihrer Meinung nach (und mit Recht) als Schwäche und als Mangel an Hochherzigkeit ausgelegt. Sie lieben es aber, beklagt zu werden, und suchen mit allen Mitteln zu erreichen, dass jedermann sie bedauere, dass man großes Mitleid mit ihnen empfinde, sie nicht nur für schwer geprüft, sondern außerdem für mutig und geduldig im Ertragen halte. Das ist nun gewiss keine echte Geduld, sondern nur eine ganz raffinierte Ehrsucht und Eitelkeit. „Sie haben ihren Ruhm, aber nicht vor Gott“, sagt der Apostel (Röm 4,2). Wer geduldig ist, klagt nicht und wünscht nicht beklagt zu werden. Er spricht von seinem Leid offen, wahrheitsgemäß und einfach, ohne zu jammern, sich zu beklagen oder das Übel größer hinzustellen. Bedauert man ihn, so nimmt er es ruhig hin; beklagt man ihn aber wegen eines Übels, das ihn nicht getroffen hat, dann stellt er bescheiden den Irrtum richtig. So bleibt er in aller Ruhe zugleich wahr und geduldig, gibt sein Leid zu, klagt aber nicht.
Bei Anfeindungen wegen deines Strebens nach Frömmigkeit (sie werden nicht ausbleiben) erinnere dich der Heilandsworte: „Eine Frau ist voll Angst, wenn ihre Stunde gekommen ist; hat sie aber das Kind geboren, dann denkt sie nicht mehr an die Angst aus Freude darüber, dass ein Mensch auf die Welt gekommen ist“ (Joh 16,21). Du hast nun in deiner Seele den Heiland empfangen und er wird nur unter Schmerzen aus dir geboren werden; sei aber guten Mutes, denn die Schmerzen gehen vorüber, doch die Freude, ihn zur Welt gebracht zu haben, wird ewig in dir bleiben. Der Heiland wird wieder Mensch für dich, wenn du durch Nachahmung seines Lebens ihn vollkommen in deinem Herzen und in deinen Werken nachgebildet hast.
Bist du krank, so opfere deine Schmerzen dem Heiland auf. Bitte ihn, er möge sie mit seinem bitteren Leiden vereinigen. Gehorche dem Arzt, nimm die Arznei, die vorgeschriebenen Speisen und Heilmittel aus Liebe zu Gott. Denke dabei an die Galle, die er aus Liebe zu uns trank. Wünsche geheilt zu werden, um Gott dienen zu können, sei aber auch bereit, ein langes Siechtum auf dich zu nehmen, um ihm zu gehorchen, und auch zu sterben, wenn es sein Wille ist, um ihn ewig zu loben und in seinem Besitz selig zu sein.
Erinnere dich, dass die Bienen sich von Bitterem nähren, wenn sie Honig erzeugen. So können auch wir nie besser Geduld und Sanftmut üben und den Honig vortrefflicher Tugenden bereiten, als wenn wir das Brot der Bitterkeit essen und inmitten von Ängsten leben. Wie der Honig aus dem Thymian, einer kleinen bitteren Blume, der beste ist, so ist auch die Tugend am vorzüglichsten, die in der Bitterkeit des niedrigen und verachteten Leidens geübt wird.
Schau oft geistigerweise auf den gekreuzigten, nackten, gelästerten, verleumdeten, verlassenen und mit aller Art von Traurigkeit und Leiden beladenen Jesus. Bedenke, dass alle deine Leiden weder in der Art noch im Ausmaß auch nur im Geringsten damit verglichen werden können, dass du niemals etwas für ihn leiden wirst, was dem Wert seines Leidens für dich gleichkäme.
Erwäge die Qualen der Märtyrer und so vieler Menschen, die viel mehr als du leiden, und sage dir: Meine Leiden sind Freuden und meine Dornen Rosen im Vergleich mit den Leiden jener, die ohne Hilfe, ohne Beistand und ohne Erleichterung einen ständigen Tod sterben, von unendlich schweren Qualen niedergedrückt.

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