Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
Ausgabe Mai / Juni 2004
Da für uns in jedem Augenblick
P. Peter Lüftenegger OSFS
„Wenn wir alle geringen Gelegenheiten, die sich uns fast jeden Augenblick
darbieten, zum Dienste der heiligen Gottesliebe verwenden wollten, so
würden wir große geistige Reichtümer erwerben und viele
Schätze für den Himmel sammeln.“ Franz von Sales (aus:
Jean Pierre Camus, „Vom Geist der Heiligkeit“. Mainz 1956,
S. 70)
Die Zeit ist kostbar, weil sie die Gelegenheiten
mitbringt, womit sie uns reich werden lässt.
Wie? Indem wir sie kraft der Liebe nützen und sie dadurch wertvoll,
kostbar machen. „Der Vater, der ins Verborgene sieht, er wird es
euch vergelten!“
Wer könnte es leugnen: Gegenseitige Liebe ist schon kostbar, wenn
sie den eigenen Kindern, der Frau, dem Mann, dem Nächsten gilt. Mehr
noch, wenn sie nach dem Vierten Gebot die Eltern betrifft, „auf
dass du lange lebest und es dir wohlergehe auf Erden“.
Liebe hat immer Verheißung in sich. Fehlt sie, nützt uns alles
andere nichts – das Herz bleibt kalt, der Topf leer. „Tut
alles zur Ehre Gottes, ob ihr esst oder trinkt oder sonst etwas tut!“
Da ist nichts gesagt, dass nur das Mühevolle nütze.
Noch mehr bringt es, wenn wir die Liebe den Armen nicht vorenthalten:
den Hungrigen, Durstigen, Kranken, Fremden, Gefangenen, Nackten. Der Herr
sagt davon: „Das hast du Mir getan.“ Sie erwidern: „Herr,
wann?? Wir haben Dich nie gesehen!“ Er: „Der Geringe, das
war Ich“. Das gilt für alle, gleich welcher Hautfarbe, Zeit
und Herkunft.
So erkennen wir den aufsteigenden Wert der
Liebe daran, wem wir Liebe erweisen.
Gelegenheit finden wir dazu zu allen Zeiten, denn „Arme habt ihr
immer unter euch“. Nur: Glauben wir an die lohnende/vergeltende
Macht der Liebe? Laden wir die Bettler an unsere vollen Tische? Das ist
doch beileibe nicht der Fall. Wirklich barmherzig zu sein lernt der Mensch
meist erst, wenn er selbst in Not war und Erbarmen fand. Nie werde ich
vergessen, wie mir 1945 als Neunzehnjähriger in russischer Kriegsgefangenschaft
in einem großen Auffanglager mein Kochgeschirr geklaut worden war.
Ich war damals noch kein Christ. So sagte ich mir: Was andere können,
kann ich auch und stahl ein gleiches. Also Aug um Auge, Zahn um Zahn.
Der Betreffende suchte aber so lange, bis er sein Kochgeschirr und mich
fand. Es war ein ungarischer Offizier. Ich erklärte ihm verlegen,
dass man auch mir das meine gestohlen habe. Er sah mich nur lange durchdringend
an – und ging, ohne mich anzuzeigen.
Die Bestrafung im Erdbunker, aus denen wir Schläge und Schreie hörten,
ist mir unvergesslich erspart geblieben. So ist Verzeihen die vorzüglichste
Liebestat. Gott hat uns am Kreuz Christi verziehen.
Wie sehr ist die Zeit als das Goldtalent zu erkennen und die Liebe jene
Bank, die den Höchstwert an Zinsen erbringt und zugleich sicher ist
– sie ist auf dem Felsgrund des Wortes Gottes erbaut.
„Als nun ein Wolkenbruch kam und die
Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus
rüttelten, da stürzte es nicht ein, denn es war auf Fels gebaut.“
Die Sicherheit, dass keine Liebestat umsonst ist, ist noch ein weiterer
Gesichtspunkt, der meinem Leben garantiert ist, wenn es in Gott deponiert
und dort aufgehoben ist. Seiner Hand kann es niemand entreißen.
Das ist Seine Seite und Sache, die absolut sicher ist. In Gottes Verheißung
und Macht kannst du ruhen.
Auch wenn die Stürme toben, kann das Menschenkind, das Seine Hand
hält und sie nicht auslässt, ruhig und im Frieden bleiben. Es
heißt ja: „In der Mitte des Orkans kann ein Kind schlafen.“
Als der Sturm auf dem See Genesaret die Jünger in Untergangsängste
stürzte, sagte Jesus nur: „Habt ihr noch immer keinen Glauben?!“
Auch wenn Seine Menschheit zu schlafen scheint, Seine Gottheit schläft
nie. Das ist der Blick auf Gottes Seite.
Die andere Seite ist die unsere: Was fange
ich mit der Zeit an?
Erkenne ich sie überhaupt als Gelegenheit, reich werden zu können?
Alles giert doch nach Reichtum und Macht – hier wird mir ein besserer
Besitz angeboten als Geld! Aber der diesseitig eingestellte Mensch hat
keine Unterscheidung über Vergängliches und Unvergängliches.
Das Ewig-Bleibende zeigt sich nur dem Gläubigen, der an die Auferstehung
glaubt. Wer nicht glaubt, wird nur für dieses Leben zusammen raffen
– muss aber sehen, dass das Totenhemd keine Taschen hat. Etwas Irdisches
mitnehmen zu wollen, ist ein Trugschluss und Kurzschluss. Doch für
den gläubigen Christen hat die Zeit um der Liebe willen Ewigkeitswert!
Camus, der Bischof von Beley, fragt Franz von Sales noch, wie Armut und
Macht denn miteinander vereint sein könnten? Er sagte: „Gerade
so, wie der Apostel spricht. ‚Die Liebe Gottes drängt uns‘
und wie der Heilige Geist uns im Hohen Lied lehrt, dass ‚die Liebe
stark ist wie der Tod‘ und furchtbar im Kampf wie die Hölle.
Man wird nicht leugnen können, dass die
Liebe die Anmut aller Anmut und der Zucker in allen Bitterkeiten ist.
Dennoch sehen Sie, wie sie mit dem verglichen wird, was das Gewaltigste
ist, mit Tod und Hölle.
Jesus am Kreuz ist der Löwe des Stammes Juda und das Rätsel
Samsons, in dessen Wunden sich die Honigwabe der stärksten Liebe
befindet.“
Und so ruft er: „O Herr! Ich bitte dich, lass doch die entzündete
und honigsüße Gewalt deiner gekreuzigten Liebe mein Herz aufzehren,
damit ich aus Liebe zu deiner Liebe sterbe, o Erlöser meiner Seele,
der du dich gewürdigt hast, aus Liebe zu meiner Liebe zu sterben.“
P. Peter Lüftenegger ist Oblate des
hl. Franz von Sales und arbeitet als Seelsorger in der Pfarrei Franz von
Sales in Wien, Österreich
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