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Zum Passionssonntag

Annecy, 5. April 1615 (OEA IX,57-64; DASal 9,228-233)

Wir haben gezeigt, daß das Ziel unseres Gebetes die Vereinigung mit Gott ist und daß alle Menschen, die sich auf dem Weg des Heiles befinden, beten können und beten müssen. Aber es bleibt noch eine Schwierigkeit aus unserer letzten Predigt: ob nämlich die Sünder erhört werden können. Ihr wißt doch, daß der Blindgeborene, von dem das Evangelium (Joh 9,31) berichtet, daß Unser Herr ihn sehend machte, zu denen, die ihn ausfragten, sagte, daß Gott die Sünder nicht erhört. Aber lassen wir ihn reden, denn er redet noch als Blinder.

Man muß nämlich wissen, daß es dreierlei Sünder gibt: die Unbußfertigen, die bußfertigen Sünder und die gerechtfertigten Sünder. Nun ist es sicher, daß die unbußfertigen Sünder nicht erhört werden, zumal sie in ihren Sünden verkommen wollen. So sind auch ihre Gebete vor Gott ein Greuel. Das gibt er selbst denen zu verstehen, die ihm sagten: Wir haben gefastet und unsere Seele kasteit, du aber hast nicht darauf geachtet (Jes 58,3). Gott gibt ihnen die Antwort: Euer Fasten, eure Kasteiungen und eure Feste sind mir ein Greuel, denn bei all dem habt ihr eure Hände mit Blut befleckt (Jes 58,3-5; 1,13-15; 59,3). Das Gebet solcher Sünder kann nicht gut sein, denn niemand kann Jesus sagen, außer in der Kraft des Heiligen Geistes (1 Kor 12,3), und keiner kann Gott Vater nennen, wenn er nicht als sein Kind angenommen ist (Röm 8,15; Gal 4,5f). Ein Sünder, der in seiner Sünde verharren will, kann den erhabenen Namen Unseres Herrn nicht aussprechen, weil er den Heiligen Geist nicht in sich hat, denn der wohnt nicht in einem Herzen, das von Sünden befleckt ist (Weish 1,4f). Wißt ihr nicht auch, daß keiner zum Vater gelangen kann als in der Kraft des Namens seines Sohnes, da er selbst (Joh 16,6.13) gesagt hat, daß man alles erhalten wird, was man in seinem Namen vom Vater erbittet? Die Gebete der unbußfertigen Sünder sind also Gott nicht wohlgefällig.

Kommen wir zum bußfertigen Sünder. Man tut ihm ohne Zweifel Unrecht, wenn man ihn einen Sünder nennt, denn er ist keiner mehr, da er seine Sünde bereits verabscheut; und wenn auch der Heilige Geist noch nicht in seinem Herzen Wohnung genommen hat, so ist er doch bei ihm mit seinem Beistand. Wer anders als der Heilige Geist hat ihm nach eurer Meinung eingegeben, daß es ihn reut, Gott beleidigt zu haben, da wir nicht einen guten Gedanken zu unserem Heil fassen können, wenn nicht er ihn uns gibt (2 Kor 3,5)? Aber hat dieser arme Mensch von sich aus nichts getan?Gewiß ja; merkt auf die Worte Davids, der sagt: Herr, du hast auf mich geschaut, als ich im Sumpf meiner Sünde steckte; du hast mein Herz aufgetan, und ich verschloß es nicht; du hast mich herausgezogen, und ich ließ mich führen; du hast mich gedrängt, und ich leistete keinen Widerstand (Ps 102,18.20f; Ps 103,3f; Jes 1,5). Wir haben eine Fülle von Beweisen, daß die Gebete des bußfertigen Sünders der göttlichen Majestät wohlgefällig sind; ich will mich aber darauf beschränken, das Beispiel des Zöllners anzuführen, der als Sünder zum Tempel hinaufstieg und gerechtfertigt fortging dank des demütigen Gebetes, das er verrichtete (Lk 18,10-14).

Kommen wir nun zum Inhalt des Gebetes. Ich will nichts sagen über sein Objekt, denn darüber habe ich am Sonntag gesprochen. Gegenstand des Gebetes ist, Gott um alles zu bitten, was gut ist. Wir müssen aber wissen, daß es zweierlei Güter gibt: die geistigen Güter und die leiblichen oder zeitlichen Güter. Als die Braut im Hohelied (5,13) ihren Vielgeliebten pries mit den Worten, daß seine Lippen einer Lilie glichen, von der Myrrhe herabträufelte, antwortete der Bräutigam, daß sie Honig und Milch unter der Zunge habe (4,11).

Ich weiß wohl, daß man diese Worte so auslegt, daß die Prediger Honig unter der Zunge haben, wenn sie zum Volk sprechen, und Milch unter der Zunge, wenn sie für das Volk Gottes beten. Nach einer anderen Auslegung haben die Prediger Milch unter der Zunge, wenn sie die Tugenden Unseres Herrn als Mensch verkünden: seine Milde, seine Sanftmut, seine Barmherzigkeit; und sie haben Honig unter der Zunge, wenn sie von seiner Gottheit sprechen. Viele täuschen sich, wenn sie denken, der Honig werde nur aus dem Saft der Blüten bereitet. Der Honig ist eine Flüssigkeit, die wie Tau vom Himmel fällt, sich auf die Blüten niederläßt und ihren Geschmack annimmt, wie das bei allen Flüssigkeiten geschieht, die man in ein Gefäß gießt, das irgendeinen Geschmack hat. Der Honig versinnbildet also die göttlichen Vollkommenheiten, die alle himmlisch sind.

Doch wenden wir die Worte der Braut auf unser Gebet an. Wir haben gesagt, daß es zweierlei Güter gibt, um die wir im Gebet bitten können, die geistigen und die leiblichen. Bei den geistigen Gütern gibt es zwei Arten: die einen sind notwendig zu unserem Heil; um sie müssen wir Gott einfach und ohne Bedingungen bitten, denn er will sie uns geben. Obwohl die anderen Güter geistig sind, müssen wir um sie unter den gleichen Bedingungen bitten wie um die leiblichen, d. h. wenn es der Wille Gottes ist und wenn es zur größeren Ehre Gottes gereicht. Unter diesen Voraussetzungen können wir um alles bitten. Die zu unserem Heil notwendigen Güter nun, die durch den Honig versinnbildet werden, den die Braut unter ihrer Zunge hat, sind Glaube, Hoffnung und Liebe und die anderen Tugenden, die uns zu ihnen führen. Die übrigen geistlichen Güter sind Ekstasen, Entrückungen, Zärtlichkeiten und Tröstungen; um alle diese Dinge dürfen wir Gott nur bedingungsweise bitten, weil sie in keiner Weise zu unserem Heil notwendig sind.

Manche denken, wenn sie mit Weisheit ausgestattet seien, wären sie besser befähigt, Gott zu lieben; aber das stimmt nicht. Ihr erinnert euch wohl, daß der Bruder Ägidius einmal den hl. Bonaventura aufsuchte und sagte: Wie glücklich bist du, mein Vater, daß du so gelehrt bist, denn du kannst Gott viel mehr lieben als wir Unwissenden. Darauf antwortete der hl. Bonaventura, die Gelehrtheit helfe ihm nichts, um Gott zu lieben, und eine einfache Frau könne Gott ebenso lieben wie die gelehrtesten Männer der Welt.

Doch wer sieht nicht die Täuschung derjenigen, die ständig hinter ihrem geistlichen Vater her sind, um sich zu beklagen, daß sie in ihren Gebeten nichts von diesen zärtlichen Gefühlen und Tröstungen verspüren? Seht ihr nicht, daß ihr euch des eitlen Ruhmes nicht erwehren könnt, wenn ihr solche Gefühle habt, und daß ihr nicht verhindern könnt, daß sich die Eigenliebe darin gefällt, so daß ihr euch mehr an den Gaben erfreut als am Geber? Gott erweist euch also große Barmherzigkeit, wenn er sie euch nicht gibt; und man darf deshalb nicht den Mut verlieren, denn die Vollkommenheit besteht nicht darin, solche zärtliche Gefühle zu haben, sondern darin, unseren Willen mit dem Willen Gottes vereinigt zu haben. Das ist es, was wir von der göttlichen Majestät bedingungslos erbitten können und müssen.

Als Tobias schon alt war und seine Geschäfte ordnen wollte, gab er seinem Sohn den Auftrag, nach Rages zu reisen, um eine bestimmte Summe Geldes einzufordern, die man ihm schuldete. Dazu übergab er ihm einen Schuldschein, der ihm dazu dienen sollte, daß man ihm das Geld nicht vorenthalten konnte (Tob 4,21f; 5,3f). So müssen auch wir es machen, wenn wir vom ewigen Vater sein Paradies erbitten wollen, die Vermehrung unseres Glaubens, seiner Liebe. All das will er uns geben, wenn wir den Schuldschein übergeben, den sein Sohn ausgestellt hat, d. h. wenn wir ihn stets im Namen Unseres Herrn und um seiner Verdienste willen bitten.

Der gute Meister hat uns klar die Ordnung gezeigt, an die wir uns bei unseren Bitten halten müssen, als er uns gebot, im Vaterunser zu sagen: Sanctificetur nomen tuum, adveniat regnum tuum, fiat voluntas tua (Mt 6,9-11; Lk 11,2f). Wir müssen also vor allem bitten, daß sein Name geheiligt werde, d. h. daß er von allen Menschen anerkannt und angebetet werde. Dann bitten wir um das, was uns das Notwendigste ist, daß nämlich sein Reich uns zukomme, daß wir Himmelsbewohner werden können; dann, daß sein Wille geschehe. Und nach diesen drei Bitten fügen wir hinzu: Unser tägliches Brot gib uns heute. Jesus Christus heißt uns sagen: Gib uns unser tägliches Brot, weil unter der Bezeichnung Brot alle zeitlichen Güter zu verstehen sind. Wir müssen sehr zurückhaltend sein, wenn wir um diese Güter bitten, und müssen in großer Furcht sein, um sie zu bitten, da wir nicht wissen, ob Unser Herr sie uns nicht in seinem Zorn gibt. Deshalb bitten jene, die im Gebet vollkommen sind, sehr wenig um diese Güter, sind vielmehr Gott gegenüber wie Kinder gegen den Vater, dem sie volles Vertrauen schenken; oder wie ein Diener, der seinem Herrn treu dient; denn er verlangt nicht jeden Tag seine Nahrung, vielmehr sprechen seine Dienste hinreichend für ihn. Soviel über den Gegenstand des Gebetes.

Die frühen Kirchenväter unterscheiden drei Formen des Gebetes, nämlich das Gebet des Lebens, das Geistesgebet und das mündliche Gebet. Wir werden jetzt nicht vom Geistesgebet sprechen, sondern nur vom mündlichen Gebet. Alle Handlungen derjenigen, die gottesfürchtig leben, sind fortgesetzte Gebete; das nennt man das Gebet des Lebens. Vom hl. Johannes heißt es (Mt 2,4), daß er sich in der Wüste nur von Heuschrecken oder Grillen und Zikaden nährte, daß er weder Trauben aß noch Wein oder Berauschendes trank (Lk 1,15). Ich will mich bei all dem nicht aufhalten, sondern nur dabei, daß er nichts als Heuschrecken oder Zikaden aß.

Man weiß nicht, ob die Zikaden himmlisch oder irdisch sind, denn sie streben immer himmelwärts, doch manchmal fallen sie auch zurück auf die Erde. Sie nähren sich vom Tau, der vom Himmel fällt, und singen unablässig. Was man vernimmt, ist nichts anderes als ein Ton oder ein Zwitschern, das in ihren Eingeweiden entsteht. Mit vollem Recht nährte sich also der glückselige hl. Johannes von Zikaden, da er selbst eine mystische Zikade war. Man konnte nicht sagen, ob er himmlisch oder irdisch war; denn obgleich er manchmal die Erde berührte, um ihren Erfordernissen zu entsprechen, erhob er sich doch sogleich wieder und strebte himmelwärts und nährte sich mehr von himmlischer als von irdischer Speise. Seht doch seine Enthaltsamkeit. Er aß nur Heuschrecken, trank nur Wasser, und das noch sehr mäßig. Er sang auch fast unablässig das Lob Gottes, denn er selbst war eine Stimme (Joh 1,23); mit einem Wort, sein Leben war ein ständiges Gebet. Ebenso kann man sagen: wer Almosen gibt, die Kranken besucht und sich in allen guten Werken dieser Art übt, der betet und seine guten Handlungen selbst verlangen von Gott Vergeltung.

Kommen wir nun zum mündlichen Gebet. Man kann es nicht Beten nennen, etwas mit den Lippen zu murmeln, wenn damit nicht die Aufmerksamkeit des Herzens verbunden ist. Um zu sprechen, muß man zuerst im Inneren geformt haben, was man sagen will. Es gibt das innerliche Wort und das äußere, das vernehmbar macht, was das innere zuvor ausgesprochen hat. Beten heißt nichts anderes als mit Gott sprechen; nun ist aber sicher, daß es Gott sehr mißfällt, wenn man zu ihm spricht, ohne auf das zu achten, was man ihm sagt. Eine heilige Persönlichkeit berichtet, daß man einen Sittich oder Papagei abrichtete, das Ave Maria zu sprechen. Als der Sittich einmal entflogen war, stürzte sich ein Sperber auf ihn; als aber der Sittich das Ave Maria herzusagen begann, ließ der Sperber von ihm ab. Es ist nicht so, daß der Herr das Gebet des Sittichs erhört hätte; er ist ja ein unreiner Vogel (Lev 11,19) und war auch nicht als Opfertier geeignet. Er ließ es dennoch zu, um zu zeigen, wie angenehm ihm dieses Gebet ist. Die Gebete jener, die sie wie dieser Papagei verrichten, sind Gott ein Greuel (Jes 1,13); er achtet mehr auf das Herz des Betenden als auf die Worte, die er spricht.

Wir müssen wissen, daß es drei Arten von mündlichen Gebeten gibt: die einen sind geboten, die anderen empfohlen, die übrigen freiwillig. Geboten sind das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis, die wir jeden Tag sprechen müssen. Das gibt Unser Herr uns deutlich zu verstehen, wenn er sagt: Unser tägliches Brot gib uns heute. Das zeigt uns, daß wir jeden Tag darum bitten müssen. Wenn ihr mir sagt, daß ihr heute nicht gebetet habt, werde ich antworten, daß ihr den Tieren gleicht. Die anderen gebotenen Gebete sind das Offizium für uns im kirchlichen Stand; wenn wir davon einen beträchtlichen Teil auslassen, sündigen wir. Nur empfohlen sind die Vaterunser oder Rosenkränze, die verlangt werden, um die Ablässe zu gewinnen. Wenn wir sie unterlassen, sündigen wir nicht; um aber zu zeigen, daß sie wünscht, wir sollten sie verrichten, verleiht die Kirche denen Ablässe, die sie verrichten. Freiwillige Gebete sind alle übrigen außer denen, von denen wir eben gesprochen haben.

Wenn auch die Gebete sehr gut sind, die man freiwillig verrichtet, so sind doch die empfohlenen viel besser, weil hier die heilige Tugend der Fügsamkeit dazukommt. Es ist, als sagten wir: Gute Mutter Kirche, du wünschst, daß ich es mache; auch wenn du es nicht befiehlst, bin ich sehr gern bereit, dich zufriedenzustellen. Das ist schon ein wenig Gehorsam. Die gebotenen Gebete aber haben einen ganz anderen Wert wegen des Gehorsams, der mit ihnen verbunden ist; und ohne Zweifel ist auch mehr Liebe dabei.

Von diesen Gebeten nun sind die einen öffentliche, die anderen private. Öffentliche sind die Messe, das Stundengebet und solche, die wir in Notzeiten verrichten. O Gott, mit welcher Ehrfurcht müssen wir zu diesen öffentlichen Gebeten kommen, ganz anders vorbereitet als für private Gebete, weil wir bei diesen mit Gott nur von unseren Anliegen sprechen, oder wenn wir für die Kirche beten, das aus Liebe tun; bei den öffentlichen Gebeten aber beten wir für alle gemeinsam. Der hl. Augustinus erzählt, daß er noch als Heide eine Kirche besuchte, wo der hl. Ambrosius das Stundengebet abwechselnd singen ließ, wie man es von da an allgemein tat. Er war so hingerissen und außer sich, daß er sich im Paradies zu befinden glaubte. Manche versichern, daß sie die Engel chorweise kommen sahen, um am Offizium teilzunehmen. Mit welcher Aufmerksamkeit müssen wir ihm demnach beiwohnen, wenn die Engel anwesend sind und oben in der triumphierenden Kirche wiederholen, was wir hier unten singen!

Vielleicht möchten wir sagen, wenn wir einmal die Engel bei unserem Chorgebet gesehen hätten, würden wir mehr Aufmerksamkeit und Ehrfurcht aufbringen. O nein, erlaubt mir, das würde nichts helfen. Denn wenn wir mit dem hl. Paulus in den dritten Himmel (2 Kor 12,2) entrückt würden, ja wenn wir dreißig Jahre im Paradies weilten, aber nicht im Glauben festgegründet wären, würde das alles nichts nützen. Es ist eine Tatsache, die ich oft erwogen habe: der hl. Petrus, der hl. Jakobus und der hl. Johannes, die Unseren Herrn in seiner Verklärung gesehen hatten, haben ihn dennoch in seinem Leiden und Tod im Stich gelassen.

Besonders wir, die das Chorgebet singen, dürfen dazu nie kommen, ohne Akte der Reue zu erwecken und ohne den Beistand des Heiligen Geistes zu erbitten, bevor wir beginnen. Wie glücklich sind wir doch, hier unten das zu beginnen, was wir ewig im Himmel tun werden. Dahin mögen uns führen der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.


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