From Franz von Sales

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Zum Osterdienstag

Annecy, 21. April 1620 (OEA IX,286-307; DASal 9,328-345)

Friede sei mit euch. Ich bin es. Fürchtet euch nicht (Lk 24,36-39).

Die Apostel und die Jünger des Herrn waren wie Kinder ohne Vater und wie Soldaten ohne Hauptmann. Ganz verschreckt, wie sie waren, hatten sie sich in ein Haus zurückgezogen. Da erschien der Heiland unter ihnen, um sie in ihrer Betrübnis zu trösten, und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch. Er wollte ihnen gleichsam sagen: Warum seid ihr so furchtsam und betrübt? Wenn es der Zweifel ist, daß nicht eintrifft, was ich euch von meiner Auferstehung gesagt habe, dann Pax vobis; bleibt in Frieden, es werde Friede in euch, denn ich bin auferstanden. Seht meine Hände, berührt meine Wunden; ich bin es doch selbst. Fürchtet euch nicht mehr; Friede sei mit euch. Von diesen Worten ausgehend unterscheide ich einen dreifachen Frieden. Der erste ist der Friede des heiligen Evangeliums und der Kirche; denn das Evangelium und die Kirche sind nur Friede, Güte und Ruhe. Außerhalb der Befolgung des Evangeliums und des Gehorsams gegen die Kirche gibt es nichts als Krieg und Aufregung, wie wir gleich darlegen werden. Der zweite ist jener Friede, in dem die Väter unterschieden haben den Frieden mit Gott, den Frieden untereinander und den Frieden mit sich selbst. Die dritte Form des Friedens ist jener, den wir im ewigen Leben besitzen werden. Wenn die Zeit reicht, werde ich diesen dreifachen Frieden behandeln, wenigstens aber will ich über die beiden ersten Formen sprechen.

Als die Israeliten die Beobachtung der Gebote Gottes aufgegeben und sich von seiner Gnade entfernt hatten, war der Herr mit Recht über sie erzürnt und ließ sie zur Strafe in die Hände der Midianiter, ihrer geschworenen Feinde fallen (Ri 6,1-24). Somit entzog er ihnen seinen Frieden, in dem er sie stets bewahrt hatte, solange sie treu waren. Wahrhaft groß ist die Züchtigung, die Gott über uns verhängt, wenn er uns in die Hände unserer Feinde fallen läßt, wenn er uns seinen göttlichen Beistand entzieht und uns nicht mehr unter seiner heiligen Obhut hält. Wenn er uns der Verstoßung überläßt, ist das ein ganz deutliches Zeichen und ein sicherer Hinweis auf unseren Untergang; denn ohne Zweifel werden die Midianiter, d. h. unsere geistlichen Feinde uns überwältigen und wir werden besiegt sein.

Die Midianiter hatten also beschlossen, die Israeliten langsam zu vernichten. Sie kamen jedes Jahr zur Zeit der Ernte scharenweise in ihre Dörfer, so daß ihnen nichts mehr zum Leben blieb. Nachdem nun Gott die Israeliten ungefähr sieben Jahre lang im Stich gelassen hatte, beschloß er in seiner Güte, die so groß gegen die Menschen ist, Mitleid mit ihnen zu haben. Er schickte einen Engel zu Gideon, um ihm zu verkünden, daß er sie durch seine Vermittlung wieder in den ursprünglichen Frieden einsetzen wolle. Der Engel kam also zu ihm an einem Ort, wo er Korn drosch, und grüßte ihn mit den Worten: Der Herr ist mit dir, du Starker unter allen Menschen. Dann forderte er ihn auf, seine Arbeit aufzugeben und die Waffen gegen die Midianiter zu ergreifen; er werde unfehlbar den Sieg erringen und die Feinde niederwerfen. Gideon war über diese Worte sehr erstaunt und antwortete: Ach, wie kann das wahr sein, was du sagst? Du versicherst mir, daß der Herr mit mir ist; wenn das stimmte, wie wäre es dann möglich, daß ich von soviel Bedrängnis betroffen und umgeben bin? Der Herr ist der Gott des Friedens (Röm 15,33; 16,20), ich aber bin nur in Kampf und Aufregung. Ein Fall großer Täuschung der Welt und der Menschen; sie glauben, wo Unser Herr ist, da könnte es Bedrängnis und Not nicht geben, sondern stets überreichen Trost. Das trifft aber nicht zu. Im Gegenteil: in Bedrängnis und Trübsal ist Gott uns näher, weil wir seines Schutzes und seines Beistands mehr bedürfen.

Der Herr ist mit dir, sagt der Engel, obwohl du in Bedrängnis bist. Wie aber wagst du mich stark zu nennen, antwortet Gideon, da ich so schwach bin? Dem Feind ist es eigen, uns selbst für schwach halten zu lassen, so daß wir keine Kraft zu haben glauben. Du sagst mir, fährt er fort, ich soll zu den Waffen greifen und ich werde siegreich sein. Ach, weißt du denn nicht, daß ich der Geringste unter allen Menschen bin? Das ist unwichtig, antwortet der Engel; Gott will, daß du es bist, der die Israeliten aus der Bedrängnis befreit, in der sie sind. Gut, sagt Gideon, ich glaube, was du mir ankündigst; um aber sicherer zu sein, möchte ich, daß es dir gefalle, mir irgendwelche Zeichen zu geben, durch die ich erkennen kann, daß alles eintrifft, was du mir versicherst. Da gibt der Engel seinem Verlangen nach und sagt ihm: Geh, nimm ein Ziegenböcklein und bring dem Herrn ein Opfer. Gideon tut das sogleich. Nachdem er das Böcklein geschlachtet und mit einer guten Tunke zubereitet hat, nimmt er Mehl und macht auf der Asche gebackene Kuchen. Dann kam er zurück und bereitete seine Opfergabe. Sobald diese bereitet war, berührte der Engel sie mit der Spitze seines Stabes und sogleich fiel Feuer vom Himmel, das sie verzehrte. Dann entschwand der Engel. Als Gideon das sah, sagte er: Ich bin des Todes, denn ich habe einen Engel gesehen. Es war eine Volksmeinung, wenn auch falsch, denn die Erfahrung hat das mehrmals gezeigt, ein lebendiger Mensch könne einen Engel nicht sehen, ohne zu sterben. Als er sich aber ein wenig beruhigt hat, gewinnt er Mut und Kraft und tut, was ihm der Engel befohlen hat, den er bis dahin für irgendeinen Wanderpropheten gehalten hatte. Darauf errichtete er einen Altar an dem Ort, wo er zu ihm gesprochen hatte, und nannte ihn Domini pax, d. h. Friede des Herrn, weil ihm an diesem Ort von Gott der Friede angekündigt wurde.

Es gibt keinen Zweifel, meine Lieben, daß das Kreuz in wunderbarer Weise diesen Altar darstellt, auf dem das Opfer des Friedens dargebracht und der dann Friede des Herrn genannt wurde; oder vielmehr war das Opfer Gideons und sein Altar das Vorbild dessen, das unser Herr und Meister am Kreuz vollendet hat, da dieses Opfer als das Opfer der Versöhnung und Befriedung bezeichnet wurde. Denn nachdem die Menschen mit Gott ausgesöhnt waren (Röm 5,1; Eph 2,14-16; Kol 1,20), empfingen sie den Frieden in sich selbst durch die Gnade, die der Erlöser ihnen durch seinen Tod und sein Leiden erworben hatte. In seinem Sterben wurde er für uns zur Sünde gemacht, wie der hl. Paulus (2 Kor 5,21) sagt. Das heißt: Er, der nicht sündigen konnte, wurde vor dem Angesicht Gottes, seines Vaters, wie ein Sünder, da er in seiner unerhörten Güte alle unsere Missetaten auf sich genommen hat, um für uns der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung zu leisten.

So wurde er wie ein gebratenes Böcklein geopfert. Im Alten Bund (Ex 12,5) war nicht so ausdrücklich gesagt, daß man das Pascha feiern sollte, indem man ein Lamm aß, daß man nicht statt des Lammes ein Ziegenböcklein nehmen könnte, so daß man sich des einen oder des anderen bediente. Aber bei diesem Pascha oder diesem Opfer, das Unser Herr am Tag seiner Passion feierte, brachte er sich selbst dar, nicht nur als ein ganz sanftes Lamm (Jes 53,7; Jer 11,19), ganz sanft, gütig und in voller Reinheit, sondern auch als ein Ziegenböcklein, das die Sünden seines Volkes trägt (Lev 16,21f). So wurde er für uns zur Sünde gemacht.

Als das Opfer Gideons bereitet war, berührte es der Engel mit einem Stab, durch den das Feuer darauf niederfiel und es verzehrte. Als das Opfer des Kreuzes bereitet war, berührte es der ewige Vater und nicht ein Engel mit seiner ganzen Güte, und sogleich kam das Feuer seiner hochheiligen Liebe darauf herab und verzehrte es. Und wie durch dieses Zeichen Gideon bestärkt wurde in der Hoffnung auf den kommenden Frieden und auf den Sieg, den er über die Midianiter erringen sollte, wie ihm der Engel vorhergesagt hatte, ebenso wurden die Menschen, als das Opfer des Kreuzes vollbracht war und Unser Herr gesagt hatte: Mein Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist (Lk23,46), sogleich in der Hoffnung bestärkt, die ihnen die Propheten durch so viele Jahrhunderte gegeben hatten, daß eines Tages der Friede in ihnen hergestellt und der Zorn Gottes durch dieses Opfer besänftigt werde, das ein Opfer der Versöhnung und der Befriedung ist, daß sie über ihre Feinde siegen und triumphieren werden (Lk 1,70-79).

Das wollte unser göttlicher Meister seinen Aposteln mit den Worten ankündigen: Friede sei mit euch; seht meine Füße und meine Hände.

Damit gab er ihnen ein sicheres Zeichen, daß ihnen der Friede durch seine Wunden sicher war. Es ist, als wollte er ihnen sagen: Was habt ihr? Ich sehe wohl, daß ihr ganz verschreckt und furchtsam seid; aber dazu habt ihr von jetzt an keinerlei Ursache mehr, denn ich habe den Frieden erworben, den ich euch schenke. Den schuldet mir mein Vater nicht nur, weil ich sein Sohn bin, sondern auch, weil ich ihn erkauft habe um den Preis meines Blutes und dieser Wunden, die ich euch zeige. Seid nun nicht mehr feige und furchtsam, denn der Krieg ist beendet. Ihr hattet einigen Grund zur Furcht in den vergangenen Tagen, als ihr saht, daß ich gegeißelt wurde (oder wenigstens davon sprechen hörtet, denn alle haben mich verlassen außer einem von euch, der mir treu blieb). Ihr habt also gewußt, daß ich geschlagen wurde, mit Dornen gekrönt, zerschlagen vom Kopf bis zu den Füßen (Jes 1,6; 53,5), ans Kreuz geschlagen; daß ich viel Schmach, Verlassenheit und Schimpf ertragen habe und daß die gegen mich verbündeten Feinde mich tausend Qualen erdulden ließen. Jetzt aber fürchtet euch nicht mehr; der Friede sei in euren Herzen. Ich bin ja Sieger geblieben und habe alle meine Feinde zu Boden geschlagen: Ich habe den Teufel überwunden, die Welt und das Fleisch. Habt keine Furcht, denn ich habe den Frieden hergestellt zwischen meinem himmlischen Vater und den Menschen. Durch dieses Opfer, das ich der göttlichen Güte dargebracht habe, vollzog ich diese heilige Aussöhnung. Bis zur Stunde habe ich euch verschiedene Male meinen Frieden entboten, jetzt aber zeige ich euch, wie ich ihn für euch erworben habe. Ich bin arm, denn ich habe nichts. Ihr wißt, daß meine Größe nicht im Besitz von irdischen Gütern besteht, weil ich die ganze Zeit meines Lebens solche nicht besessen habe. Aber statt aller Reichtümer habe ich den Frieden; er ist das Vermächtnis, das ich euch bestimmt habe, als ich von euch ging (Joh 14,27), das ich noch einmal bestätige. Der Friede ist alles, was ich meinen Liebsten gebe; deshalb Pax vobis und allen, die an mich glauben.

Früher (Mt 10,7.12.14; Lk 10,3.5) hatte er ihnen gesagt: Geht, verkündet den Menschen, was ich euch gelehrt habe, und sagt, wenn ihr in ein Haus kommt: Der Friede herrsche hier. Das ist, als wollte er sagen: Verkündet beim Eintritt in ein Haus vor allem, daß ihr nicht kommt, Krieg zu bringen, sondern meinen Frieden. Wer immer euch aufnimmt, wird im Frieden bleiben; wer euch dagegen abweist, wird ohne Zweifel Krieg haben. Aber darüber werde ich gleich sprechen.

Das heilige Evangelium ist ebenso wie die heilige Kirche nur Friede. Es begann mit dem Frieden, wie wir im Evangelium sehen, das bei der Geburt Unseres Herrn gelesen wird; da sangen die Engel: Ehre seiGott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen guten Willens (Lk2,14). Und später verkündet es nur Frieden: Ich gebe euch meinen Frieden, sagt der Heiland zu seinen Aposteln, ich übergebe euch meinen Frieden, aber ich gebe ihn euch nicht so, wie die Welt ihn gibt. Die Welt, scheint er sagen zu wollen, hält nicht, was sie verspricht, denn sie ist eine Betrügerin. Sie schmeichelt den Menschen und verspricht ihnen viel, dann gibt sie ihnen schließlich nichts und verspottet sie noch, nachdem sie sie betrogen hat. Ich aber verspreche euch nicht nur den Frieden, sondern ich gebe ihn euch; und nicht nur irgendeinen Frieden, sondern einen, wie ich ihn von meinem Vater empfangen habe. Durch ihn werdet ihr alle eure Feinde überwinden und Sieger über sie sein. Sie werden wohl Krieg gegen euch führen, aber trotz ihrer Angriffe werdet ihr Ruhe und Frieden in euch selbst bewahren. Mit einem Wort, das heilige Evangelium handelt fast ausschließlich vom Frieden; und wie es mit dem Frieden beginnt, so schließt es mit dem Frieden, um uns zu lehren, daß er das Erbe ist, das Gott der Herr, unser Meister, seinen Kindern hinterlassen hat, die in Abhängigkeit von der hochheiligen Kirche leben, unserer guten Mutter und seiner sehr lieben Braut.

Da indessen dieser Friede etwas zu allgemein ist, müssen wir vom zweiten sprechen; das ist jener, der uns mit Gott aussöhnt, mit dem Nächsten und mit uns selbst. Zum ersten haben wir schon gesagt, daß wir mit Gott durch den Tod und die Passion Unseres Herrn versöhnt wurden. Da wir aber widerspenstig und ungehorsam gegen seine göttlichen Gebote wurden und, sooft wir in Sünde fielen, den Frieden verloren, den Jesus Christus uns erworben hatte, bedurften wir eines neuen Mittels der Versöhnung. Zu diesem Zweck hat unser göttlicher Meister das allerheiligste und erhabenste Sakrament der Eucharistie eingesetzt. Wie unser Friede mit seinem Vater hergestellt wurde durch das Opfer, das er selbst ihm am Kreuz dargebracht hat, so soll er auf gleiche Weise besänftigt werden durch dieses göttliche Opfer, sooft es seiner erzürnten Gerechtigkeit dargebracht wird. Kein Mensch außer den Kindern der Kirche kann solche Mittel haben, um sich mit Gott auszusöhnen; ohne sie bleiben sie Kinder des Zornes (Eph 2,3) und armselig.

Unser Herr sagte also sehr richtig: Ich gebe euch meinen Frieden, weil er selbst sich gegeben hat, der der wahre Friede ist (Eph 2,14; Mi 5,15). Der Friede gehört nur den Kindern der Kirche, das ist wahr; denn alle anderen haben nicht die Mittel der Versöhnung, die unser Erlöser uns gegeben hat, um uns wieder in die Gunst Gottes, seines Vaters, zu versetzen, sooft wir sie verlieren, obwohl wir sie wahrhaftig durch unsere Schuld verloren haben. Krieg gibt es unter den Christen nur in dem Maß, als sie nicht in der Gnade Gottes sind; denn wenn sie in ihr bleiben, haben Teufel, Welt und Fleisch keine Macht über sie. Seht ihr das nicht, da Unser Herr seinen Aposteln versicherte, daß sie in Frieden leben werden, da er durch seine Wunden und seine Pein ihre Feinde niedergerungen und deren Macht gebrochen hat?

Stellt euch einen Fürsten vor, der aus dem Krieg heimkehrt, in dem er seine Feinde von allen Seiten geschlagen hat. Er ließ sie über die Klinge springen, ohne einen am Leben zu lassen, außer einigen Flüchtlingen, einigen Lakaien und Feiglingen, denen er aus Mitleid Gnade gewährte. Nach diesem Sieg wird er im Triumph in die Hauptstadt zurückkehren, wenn auch mit Wunden bedeckt. Wenn er vor seine Untertanen tritt, wird er ihnen sagen: Mut, meine Freunde; das sind die Wunden, durch die ich euch den Frieden gewonnen habe. Bleibt ruhig, habt keine Furcht mehr, denn ich habe unsere Feinde niedergeschlagen. Ich habe wohl einigen Troßknechten das Leben geschenkt, die euch möglicherweise ein wenig belästigen werden; aber fürchtet nichts, denn die haben keinerlei Macht über euch und sie werden euch nicht schaden können, wenn sie euch auch lästig sind.

Unser Herr und Meister wird der Friedensfürst genannt (Jes 9,6). Er kommt aus dem Kampf zurück, in dem er wahrhaftig viele Wunden empfangen hat, aber Wunden, die nicht der Verachtung, sondern unvergleichlicher Ehre würdig sind; er macht sie zum Siegeszeichen und verdient dafür ewiges Lob. Er wendet sich an seine Apostel als sein vielgeliebtes Volk und zeigt ihnen die Wunden: Pax vobis, seht meine Wunden. Berühre sie, wird er am Sonntag zum hl. Thomas sagen, berühre mit deinen Fingern die Wunden meiner Füße und meiner Hände; wenn es dir gutdünkt, lege deine ganze Hand in meine Seite (Joh20,27) und sieh, daß ich selbst es bin (Lk 24,39); und wenn du das getan hast, sei nicht mehr ungläubig, sondern gläubig. Seht meine Wunden und wißt, daß ich sie empfangen habe, als ich eure Feinde zu Boden streckte und besiegte, die ich geschlagen und vernichtet habe. Es sind zwar einige übriggeblieben, aber fürchtet euch nicht, denn sie werden keine Macht über euch haben, sondern ihr werdet volle Gewalt über sie haben; bleibt also in Frieden.

Die zweite Seite dieses Friedens ist, daß wir ihn untereinander haben. Sein Fehlen ist die Quelle allen Unglücks, aller Bedrängnis und Not, die man in dieser Welt unter den Menschen sieht. Denn ich bitte euch, woher kommt so viel Armut, unter der viele leiden, wenn nicht von der elenden Anmaßung der anderen, ihren Besitz zu vermehren und reich zu sein, auch wenn es auf Kosten des Nächsten geschieht? Die einen haben zu viel und die anderen haben nichts. Was ist der Untergang des Friedens, wenn nicht die Prozesse, der Ehrgeiz, das Verlangen nach Ehren, Würden und Vorrang? Wenn der Friede unter den Menschen herrschte, würde man solches Elend nicht sehen. Woher kommen so viele Kriege, wenn nicht davon, daß der Friede fehlt?

Mit einem Wort, nichts führt Krieg gegen den Menschen als der Mensch selbst. Es gibt nichts, was nicht vom Menschen und nur vom Menschen geordnet und gelenkt werden könnte. Wohl ist die Macht, die Gott dem Adam im irdischen Paradies über alle Tiere gegeben hat, durch die Sünde etwas beeinträchtigt worden; trotzdem kann der Mensch, wie die Erfahrung täglich lehrt, die wildesten Tiere zähmen mit Hilfe der Vernunft, mit der Gott ihn begabt hat. Wenn die Menschen untereinander in Frieden lebten, könnte nichts ihre Ruhe stören. Wovor sollten sie Angst haben, wovor sich fürchten? Vor Löwen? Keineswegs, denn wie wir gleich hören werden, hätten sie von sich aus Geschicklichkeit genug, um sich vor ihrer Wut und vor der aller anderen Tiere zu schützen, so wild sie auch sein mögen.

Unser Herr wußte sehr gut, wie überaus notwendig die Menschen den Frieden haben. Deshalb hat er über nichts so viel gepredigt wie über diesen Frieden, der aus der gegenseitigen Liebe hervorgeht, die er uns so sehr empfohlen hat. Sie hat er seinen Aposteln am meisten eingeprägt. So sagt der glorreiche hl. Paulus, daß er nichts anderes kennen und predigen will als den gekreuzigten Jesus Christus (1 Kor 2,2), der uns ausgesöhnt und uns jenen Frieden geschenkt hat, durch den wir ihm in allem gleichgeworden sind (vgl. Hebr 2,17), dem Friedensfürsten, der den Frieden sowohl auf Erden wie im Himmel hergestellt hat (Kol 1,20). Der Erlöser besucht seine Apostel, aber erst, da sie alle versammelt sind, da sie alle im Frieden sind und alle in heiliger Einheit leben. Obwohl er den zwei Jüngern erschien, die von der Stadt Jerusalem fortgegangen waren, die den Frieden versinnbildet, da sie Schau des Friedens genannt wurde, dürfen wir doch nicht glauben, daß er für alle tun wollte, was er für die beiden getan hat. Der hl. Thomas hatte diese Gunst nicht, bis er in die Gemeinschaft der Apostel zurückgekehrt war (Joh 20,24-26). Wenn wir nicht miteinander in Frieden und Eintracht leben, dürfen wir nicht die Gnade erwarten, unseren auferstandenen Herrn zu sehen.

Die dritte Eigenschaft dieses Friedens besteht darin, daß wir ihn mit uns selbst und in uns selbst haben. Um das besser zu verstehen, muß man wissen, was uns der große Apostel (Röm 7,21-25; Gal 5,17) sehr genau bestätigt, daß es nämlich in uns zwei Bereiche gibt, die sich ständig bekämpfen: den Geist und das Fleisch. Das Fleisch begehrt gegen den Geist und der Geist hat seine Gesetze, die denen des Fleisches völlig entgegengesetzt sind. Jeder der beiden Bereiche hat seine Anhänger und Untergebenen. Das Fleisch hat den Bereich der Begierden, bestimmte Fähigkeiten und Sinne, die ihm mit der Seele gemeinsam sind, die in seinem Interesse gegen den Geist streiten. Der Geist hat als seine ganze Streitmacht nur drei Soldaten, die für ihn kämpfen, die ihn noch dazu bei jeder Gelegenheit im Stich lassen und die Treue brechen, die sie ihrem Feldherrn schulden; sie schlagen sich auf die Seite des Fleisches, um für dieses gegen den Geist selbst zu kämpfen, der ihr Herr ist.

Ja, wenn diese Soldaten treu wären, hätte der Geist nichts zu fürchten, sondern könnte seiner Feinde spotten wie jene, die sich mit ausreichenden Vorräten versehen im Turm einer uneinnehmbaren Festung befinden, und das, obwohl die Feinde bereits in den Vororten sind, ja sogar die Stadt eingenommen haben. So geschah es bei der Zitadelle von Nizza. Die Streitkräfte von drei großen Fürsten vor ihr waren nicht imstande, jene zu erschrecken, die sich im Turm befanden. Der Geist, der der Turm der Seele ist, fürchtet ebenfalls nichts, wenn er auf sich zurückgezogen bleibt und von seinen drei Soldaten umgeben ist, vom Verstand, dem Gedächtnis und dem Willen. Wenn die Welt, der Teufel und das Fleisch alle ihre Kräfte gegen ihn vereinigen, können sie ihn keineswegs in Schrecken versetzen. Sie werden zwar einige Verwirrung stiften, indem sie sich der anderen Fähigkeiten der Seele bedienen; sie können ihm aber trotzdem nicht schaden dank dem Frieden, den Unser Herr uns erworben hat. Wenn der Geist in gutem Einvernehmen mit diesen drei Gefolgsleuten lebt, wird er stets seiner Feinde spotten und sie werden unterlegen sein.

Die wahre Rüstung der Christen ist der Friede; mit ihm werden sie in allen Kämpfen siegreich bleiben. Wenn er aber fehlt und wenn das Einvernehmen zwischen dem Geist, dem Verstand, dem Gedächtnis und dem Willen schwindet, ist alles verloren; der Mensch wird ohne Zweifel unterliegen. Solange der Verstand daran festhält, was uns der Glaube lehrt oder was Unser Herr uns gelehrt hat, behält er eine unvergleichliche Macht über das Fleisch, das im Vergleich zu ihm nur Schwäche ist. Wenn er aber auf die Gründe und Einwände zu hören beginnt, die das Fleisch vorbringt, um ihn von der Beachtung der göttlichen Wahrheiten abzubringen, ist sogleich alles verloren; das bestätigt die Erfahrung täglich.

Niemand kann daran zweifeln, daß unser teurer Meister gesagt hat: Selig die Armen und die Verfolgung leiden. Statt fest auf diese Wahrheit bedacht zu sein, beginnt der Verstand die Vorstellung anzunehmen, die ihm das Fleisch macht, man müsse viele Güter besitzen, um ihm sein Wohlbehagen und seine Bequemlichkeit zu verschaffen, und schon beginnt der Krieg. Das Fleisch redet dem Geist jammernd ein, die Armen seien nicht geachtet; hört er auf diese Auffassung, ist er schon verloren. Mit einem Wort, alles, was das Fleisch wünscht, ist dem Geist völlig entgegengesetzt. Wenn er vom himmlischen Licht erleuchtet ist, kann er nicht umhin zu sehen, daß die Gründe, die ihm vom Fleisch eingeflüstert werden, tierisch und ungebührlich sind und daß er sie nicht anerkennen kann.

Auf diese Weise wird der Geist in einen sehr schweren Kampf verstrickt, wenn er sieht, daß einer seiner Soldaten gewonnen und er oft schon ganz verloren ist. Wir sagen zwar alle, daß wir den Glauben haben, aber wir zeigen ihn nicht durch Taten. Wenn wir in uns selbst den Frieden mitten im Krieg bewahren wollen, müssen wir den Verstand fest an die Wahrheiten gebunden halten, die Unser Herr uns gelehrt hat, und müssen ihn daran hindern, auf die menschlichen Meinungen und Gründe zu hören oder sie anzunehmen.

Von daher ist das Verderben der Engel und der Menschen gekommen. Die abtrünnigen Engel hörten auf die falsche Meinung, sie müßten sein wie Gott, und sie verloren sich in ihren Gedanken (Röm 1,21). Der hl. Michael unternahm es, ihrer Verwegenheit zu widerstehen, und sagte: Elende, wer ist wie Gott? Auf dieses Wort hin wurden sie gestürzt und für immer unselig. Sobald aber Luzifer sah, daß ihn sein vermessener Ehrgeiz zugrundegerichtet hat, bereitete er unserer armen Mutter Eva die gleiche Versuchung. Er versicherte ihr, sie werde nicht sterben, auch wenn Gott es gesagt habe, sie werde ihm vielmehr gleich sein, wenn sie von der verbotenen Frucht esse. Statt sich fest an das Wort zu halten, das der Herr ihr gegeben hatte, hörte die Ärmste auf ihn und stimmte dem verderblichen Vorschlag zu, der die Ursache war, daß sie zugrundeging und ihr Mann mit ihr (Gen 3,1-6). Es wäre besser für sie und uns gewesen, wenn sie dem Feind geantwortet hätte: Elender, laß uns in der Niedrigkeit und Demut bleiben, in der wir erschaffen wurden, statt uns eine Erhöhung vorzuschlagen, durch die du gestürzt wurdest. Wie glücklich wäre Adam gewesen, wäre er alleingeblieben und unverheiratet, denn dann wäre er nicht bei Gott in Ungnade gefallen, indem er untreu gegen sein Gebot war.

Unser Verstand ist gewöhnlich so voll von Gründen, Meinungen und Erwägungen, die ihm von der Eigenliebe eingeflößt werden, daß das schwere Kämpfe in der Seele auslöst. Statt uns damit zu begnügen und damit zu befassen, uns in allem so zu verhalten, wie Unser Herr es uns gelehrt hat, machen wir uns Erwägungen der menschlichen Weisheit zu eigen, die uns weismacht, man müsse wohl unterscheiden und die Dinge der Klugheit entsprechend mäßigen, damit alles gut geht. Indessen trifft das Gegenteil zu, denn das führt dazu, daß alles schlecht geht. Gewiß, man weiß nicht, wie man diesen Menschen beikommen soll, die sich dieser falschen Klugheit bedienen. Denn statt ihren Verstand zu vereinfachen, wollen sie die Gründe nicht hören, die man ihnen sagt, und bringen hundert Gegenargumente, um ihre Meinung zu stützen, wenn sie auch oft schlecht sind. Wenn sie sich einmal darauf festgelegt haben, weiß man nicht mehr, was man mit ihnen machen soll.

Bedient euch der Klugheit, denn sie ist gut; aber gebraucht sie wie ein Pferd: besteigt sie, lenkt sie mit sicherer Hand, gebt ihr hundertmal die Sporen, bis ihr sie gezügelt und gezähmt habt, um sie der Einfachheit Unseres Herrn zu unterwerfen. Der überaus gute Meister sah die Apostel verstrickt in verschiedene Erwägungen und Zweifel über die Erfüllung seiner Verheißung. Sie hatten nicht die Geduld, den Abend des Tages abzuwarten, für den er ihnen seine Auferstehung vorhergesagt hatte (es war erst Morgen, als sie zu zweifeln begannen). Pax vobis, sagte er zu ihnen; euer Verstand werde befriedet durch die Zurückweisung aller Überlegungen. Seht meine Wunden und seid nicht mehr ungläubig sondern gläubig.

Wieviel Aufhebens um den menschlichen Geist! Unser Herr hat gesagt: Alles, worum ihr in meinem Namen bitten werdet, wird euch gegeben (Joh 14,13; 16,23). Trotzdem werden wir sogleich wankend im Glauben an diese Verheißung, weil wir es nicht so schnell erhalten, wie wir möchten. Aber ich habe schon so viel um diese Tugend gebetet, und trotzdem habe ich sie nicht. Geduld! Der Tag ist noch nicht vergangen; es ist erst Morgen, und du zweifelst. Warte den Abend dieses sterblichen Lebens ab. Wenn du beharrlich bittest, wirst du sie ohne Zweifel erhalten. Die Apostel sahen den auferstandenen Herrn nicht sogleich, und schon waren sie bestürzt. Ach, dachten sie bei sich, wie glücklich wären wir gewesen, hätten wir einen unsterblichen Meister gehabt, und mehrere derartige Überlegungen, durch die sie zeigten, daß sie an der Wirksamkeit der Verheißungen des Heilands zweifelten. Deshalb sagte er ihnen, um sie zu beruhigen: Friede sei mit euch. Die erste Ursache, die in uns den Kampf bewirkt und den Frieden vertreibt, ist also nichts anderes als der Mangel an sicherem Glauben an die Worte Unseres Herrn sowie die Leichtigkeit, mit der wir auf die Vielzahl von Gründen der menschlichen Klugheit hören.

Der zweite Soldat unseres Geistes ist das Gedächtnis. Wenn seine Zuverlässigkeit fehlt, wird die Unruhe in der Seele groß. Das Gedächtnis ist der Sitz der Hoffnung und der Furcht. Ich weiß wohl, daß die Hoffnung eine Sache des Willens ist, aber für jetzt will ich so sagen. Der Großteil der Unruhe in unserem Geist kommt daher, daß die Phantasie des Fleisches der Einbildungskraft des Geistes Erinnerungen bietet; wenn unser Gedächtnis sie aufgenommen hat, dann lassen sie uns zu eitlen Befürchtungen übergehen, daß wir von dem und jenem nicht genug besäßen, statt uns damit zu befassen, uns der Verheißung zu erinnern, die Unser Herr uns gegeben hat, und auf diese Weise fest im Vertrauen zu verharren, daß eher alles vergehen werde, als daß diese Verheißungen nicht erfüllt werden (Mt 24,35; Mk 13,31); daher kommt diese Unruhe. Das Fleisch bietet alle seine Kräfte gegen den Geist auf, bringt den Verstand und das Gedächtnis auf seine Seite, um gegen uns zu kämpfen.

Es ist ein Jammer, welchen Schaden das Fehlen des Friedens in der Seele anrichtet. Statt uns einer großen Ruhe zu erfreuen, wenn das Gedächtnis fest dabei bleibt, sich der göttlichen Verheißungen zu erinnern, die uns nicht nur der Treue Gottes versichern, sondern auch seiner zärtlichen und liebevollen Fürsorge für alle jene, die auf ihn vertrauen und ihre ganze Hoffnung auf seine Güte gesetzt haben (Klgl 3,25). Wie glücklich wären wir, wenn wir uns damit befaßten, uns nicht nur der Versprechungen zu erinnern, die wir bei der Taufe, sondern die Mehrzahl von uns durch die Gelübde Gott gemacht haben, ihm treu zu sein und uns stets nur damit zu befassen, was uns in seinen Augen wohlgefälliger machen kann! Wenn die Ordensmänner und Ordensfrauen ihre Versprechen erfüllten, ihre Regeln und Konstitutionen treu zu beobachten und die Ratschläge zu befolgen, die ihnen gegeben werden, ich sage, dann würden sie den Frieden in ihrer Seele besitzen; dann würde Unser Herr zu ihnen kommen und ihnen sagen, wie er zu seinen Aposteln gesagt hat: Friede sei mit euch.

Der dritte und stärkste Soldat unseres Geistes ist der Wille; denn nichts kann die Freiheit des menschlichen Willens überwinden. Selbst Gott, der ihn erschaffen hat, will ihn in keiner Weise zwingen oder ihm Gewalt antun (Sir 15,14.17f). Und doch ist er so feig, daß er sich sehr oft durch die Beredsamkeit des Fleisches gewinnen läßt und sich seinen Bestrebungen anpaßt, obwohl er weiß, daß das Fleisch der gefährlichste Feind des Menschen ist. Es ist die treulose Delila, die den armen Simson arglistig tötete, der sie so herzlich liebte (Ri 16). Das Fleisch kennt Listen ohnegleichen, um den Geist zu besiegen und ihn für seine tierischen Neigungen zu gewinnen. Aber der Hauptfeind des Willens und das, was ihn so feig macht, daß er den Geist im Stich läßt, der wie sein liebster Gemahl ist, das ist die Menge unserer Wünsche nach dem und jenem. Mit einem Wort, unser Wille ist so voller Ansprüche und Pläne, daß er sich sehr oft damit abgibt, sie einen nach dem anderen zu betrachten, statt sich damit zu befassen, einige der nützlichsten zu verwirklichen.

Wie viele Wünsche hast du in deinem Willen, kann man zu einem sagen. Wie viele? Ich habe deren nur zwei. Das ist zu viel, denn man braucht nur einen. Das sagt Unser Herr selbst: Maria hat das einzig Notwendige erwählt. Und was ist das eine? Man muß Gott wollen, meine lieben Schwestern, und sonst nichts. Denn wem Gott nicht genügt, der verdient, nichts zu besitzen. Ihr werdet mir erwidern: Aber muß man nicht den Nächsten lieben? Wenn Sie sagen, daß man nur Gott lieben darf und nur ihn allein wollen, wozu dann so viele geistliche Bücher, so viele Predigten und alle anderen Übungen der Frömmigkeit? Ein Beispiel wird euch das verständlich machen. Ihr schaut diese Wand an, die weiß ist, und ich frage euch, was ihr seht. Ihr werdet antworten: Ich sehe diese Wand, die weiß ist. Aber seht ihr nicht die Luft, die zwischen ihr und euch ist? Nein, werdet ihr antworten, weil ich nur diese Wand ansehe; obwohl mein Blick durch die Luft hindurchgeht, die dazwischen ist, sehe ich sie dennoch nicht, weil mein Blick nicht bei ihr verweilt. Ebensogut könntet ihr sagen: Wenn ich Gott liebe, treffe ich mehrere andere Dinge, wie die Bücher, die Tugenden, das Gebet, den Nächsten, die ich wirklich recht liebe. Indessen bewirkt meine Hauptabsicht, nur Gott zu lieben, daß ich alle diese Dinge liebe und mich ihrer bediene, aber nur wie im Vorbeigehen, um mich anzuspornen, Gott noch mehr und immer vollkommener zu lieben, denn das ist mein Wille, und ich will nie etwas anderes.

Schließlich und endlich: wenn wir den Frieden in uns selbst haben wollen, dürfen wir nur einen Wunsch haben, wie wir gesagt haben, und nicht anders als der hl. Paulus, der sich vornahm, nichts anderes zu kennen und zu predigen als unseren gekreuzigten Herrn Jesus Christus (1 Kor 2,2). Das war seine ganze Lehre, darin bestand seine ganze Wissenschaft; mit dem Tod Unseres Herrn befaßte er sein Gedächtnis und auf diese Liebe zum Gekreuzigten allein hatte er all sein Verlangen und sein ganzes Wollen beschränkt. So können auch wir es machen, meine Lieben, dann werden wir wie er den wahren Frieden besitzen. Wenn alle unsere Kräfte und Fähigkeiten in uns gesammelt sind, wird unser göttlicher Heiland, dem zuliebe wir sie vereinigt haben, ohne Zweifel nicht verfehlen, in uns zu sein und uns diesen Frieden zu bringen, den er heute seinen vielgeliebten Aposteln schenkt.

Aber, mein Gott, was für ein Friede ist das und wie verschieden ist er von jenem, den die Welt gibt (Joh 24,27)! Die Weltleute rühmen sich manchmal, den Frieden zu besitzen, aber es ist ein falscher Friede, auf den schließlich ein ganz großer Krieg folgt. Stellt euch bitte vor, ihr seht zwei Boote oder Schiffe auf dem See fahren; eines davon ist jenes, in dem Unser Herr mit seinen Aposteln ist und ganz sanft schläft. Während er schläft, erheben sich die Winde, der Sturm nimmt zu, die Wogen werden so ungestüm, daß sie das Schiff jeden Augenblick zu verschlingen scheinen. Die Apostel sind durch die gegenwärtige Gefahr ganz aufgeregt, sie laufen vom Bug zum Heck und vom Heck zum Bug. Schließlich wecken sie Unseren Herrn und sagen: Meister, wir gehen zugrunde, wenn du uns nicht zu Hilfe kommst. Arme Leute, warum seid ihr unruhig? Habt ihr nicht den Erlöser bei euch, der der wahre Friede ist? Da sagt Jesus zu ihnen: Was fürchtet ihr, kleingläubige Menschen? Habt keine Angst. Sogleich gebot er dem See, sich zu beruhigen, und sofort trat Stille ein (Mt 8,23-26; Lk 8,23-25). Der göttliche Meister blieb im Frieden, in dem er geschlafen hatte, der aus der Unschuld und Reinheit seiner Seele hervorging. Ebenso machte es nach ihm sein vielgeliebter Apostel, der hl. Petrus, denn er schlief friedlich, als der Engel kam, um ihn aus dem Gefängnis zu befreien, am Abend vor dem Tag, an dem er hingerichtet werden sollte (Apg 12,6). So ruhig sind die echten Freunde Gottes und besitzen den Frieden, den Unser Herr ihnen erwirkt hat.

Das zweite Schiff, von dem ich gesprochen habe, das den Frieden der Kinder der Welt darstellt, ist jenes, auf dem sich Jona befand. Der Sturm war heftig und die Matrosen wußten nicht mehr, was sie tun sollten, um der höchsten Gefahr zu entrinnen, der sie sich fast ausgeliefert sahen. Da stiegen sie in den Bauch des Schiffes hinab und fanden dort Jona schlafend, aber nicht den Schlaf des Friedens, sondern den Schlaf der Hilflosigkeit. Sie sagen zu ihm: Wie, du Elender, duschläfst in dieser Bedrängnis? Als sie sich erkundigten, woher er komme, antwortete er: O, ich bin ein elender Mensch und fliehe vor dem gerechten Unwillen Gottes, der über mich erzürnt ist. Als der Schiffshauptmann das hörte, sagte er sogleich zu ihm: Woher kommst du und woher bist du? Jona antwortete wieder: Ich bin ein elender Mensch. Da warfen ihn die Schiffsleute sofort ins Meer (Jona 1,4-15). So machen es auch die Sünder, wenn sie dem Zorn Gottes zu entgehen gedenken. Sie rühmen sich eines guten Schlafs, als ob sie den Frieden besäßen, aber oft sehen sie sich beim Erwachen sehr getäuscht, wenn sie sich von tausend Wirren umgeben sehen, die sie fast in das Meer ewiger Stürme stürzen, wenn sie nicht bereuen und sich an die göttliche Güte wenden, um sein Erbarmen zu erflehen, damit sie durch ihre Zerknirschung die Gnade wiedergewinnen können, die sie inmitten ihres Friedens und der Ruhe verloren haben. Dieser Friede müßte eher Unfriede genannt werden, weil er schließlich in einer unerträglichen Unruhe endet.

Der Friede, meine Lieben, findet sich nur unter den Kindern Gottes und der Kirche, die nach dem göttlichen Willen in der Beobachtung seiner Gebote leben. Viel echter und größer aber ist der Friede, den jene besitzen, die nicht nur nach den Geboten leben, sondern in der Beobachtung der Räte und nach der Regel der Tugend, denn der wahre Friede findet sich in vollkommener Abtötung. Die Kinder des Friedens (Lk 10,6) führen beständig Krieg gegen das Fleisch, das sehr heftige Angriffe gegen sie unternimmt, das aber doch nicht die Macht hat, ihre Ruhe zu trüben, ebensowenig wie der Teufel und die Welt, wie wir schon gesagt haben.

Jeder von uns muß aber wissen, daß man nicht in einem Frieden bleiben darf, der vom Faulenzen begleitet ist, denn man muß immer kämpfen. Wir können das Fleisch wohl schwächen, unseren Hauptfeind, der uns so nahe ist, daß er uns nie verläßt. Trotzdem können wir es aber nicht ganz zur Strecke bringen und niederschlagen, weil es einer jener Flegel und Schurken ist, die Gott am Leben gelassen hat, um uns in Übung zu halten, wenn sie uns auch nicht schaden können. Das Fleisch wohnt in unserer Brust (Mi 7,5); deshalb beunruhigt es manchmal das Herz. Wenn wir aber fest im Turm bleiben, begleitet von den drei Soldaten, von denen wir gesprochen haben, werden wir immer die Stärkeren sein und den wahren Frieden besitzen, der uns zufrieden erhält inmitten von Beleidigungen und Verachtung, von Bedrängnissen und Widersprüchen und schließlich inmitten all dessen, was uns der Natur Widerstrebendes begegnet.

Dazu muß ich euch ein schönes Beispiel erzählen, das ich kürzlich in den neu gesammelten „Leben der Väter“ gelesen habe (ein Buch, das noch nicht ins Französische übersetzt ist). Mit diesem Beispiel will ich schließen. Ein junger Mann wurde vom Geist Gottes gedrängt, sich in einen Orden zurückzuziehen; er begab sich in ein Kloster der Thebais, um einen geistlichen Vater zu finden. Dem berichtete er von seiner Absicht und bat ihn, ihn als seinen Schüler aufzunehmen. Er hielt eine seinem Eifer entsprechende bemerkenswerte Rede und sagte: Mein Vater, ich komme zu Euch, damit Ihr mich unterweist, wie ich es anstellen kann, sehr bald vollkommen zu sein. Seht ihr, er wollte es sein, aber sehr bald. Der gute Vater lobte seine Absicht und antwortete ihm: Mein Sohn, soweit es darum geht, dir den Weg zu zeigen, um dich zu vervollkommnen, werde ich das gerne tun; aber daß du so bald vollkommen wirst, wie du möchtest, das kann ich dir nicht versprechen; denn in diesem Haus haben wir nicht eine fertige Vollkommenheit, sondern jeder muß seine eigene machen.

Der Ärmste dachte, die Vollkommenheit würde ihm geschenkt, wie man den Ordenshabit verleiht. Da hatte er sich schwer getäuscht, denn der geistliche Vater fuhr in seiner Belehrung fort und sagte: Mein Sohn, die Vollkommenheit gewinnt man nicht mit einem Schlag, wie du meinst; so schnell kann man sie nicht erreichen. Man muß alle Stufen durchlaufen, angefangen von den untersten, eine nach der anderen hinaufsteigen bis zur höchsten. Siehst du nicht, daß die Jakobsleiter Sprossen hatte, auf denen man von einer zur anderen aufsteigen mußte, bis man ganz oben war, wo man dem Herzen Gottes begegnete (Gen 28,12f) Bevor man an seiner göttlichen Brust trinken kann, muß man von Stufe zu Stufe hinaufsteigen; denn die Vollkommenheit, die du ersehnst, findet man nicht fertig vor. Wenn du sie eines Tages besitzen willst, werde ich dich gern lehren, wie man sie erwirbt, mein Sohn, wenn du nur guten Willen hast und wenn du getreu tust, was ich dir sagen werde. Als der junge Mann das hörte, versprach er, es zu tun. Da fügte der gute Vater hinzu: Mein Sohn, drei Jahre lang mußt du dich außer der allgemeinen Übung der Tugenden damit befassen, alle Brüder zu entlasten. Wenn du z. B. den Koch triffst, der Wasser holen, Holz sammeln oder spalten geht, sollst du für ihn gehen. Wenn du dann andere triffst, die beladen sind, wirst du ihre Last nehmen und sie entlasten, indem du diese für sie trägst. Mit einem Wort, du wirst dich zum Diener aller machen und ihnen in allem ohne Ausnahme dienen. Wirst du wohl den Mut haben, das zu tun? Der junge Neuling, der sich nach der Vollkommenheit sehnte, fügte sich dem. Aber werde ich am Ende dieser drei Jahre vollkommen sein? Das kann ich nicht wissen, antwortete der Vater; wir werden sehen, was dann sein wird.

Als die drei Jahre vorüber waren, suchte der gute Novize seinen Meister wieder auf, um zu erfahren, ob er vollkommen sei. Mein Vater, sagte er, ich sehe mich am Ende meiner Frist. Das ist nicht alles, erwiderte der gute Vater; wenn du vollkommen sein willst, mußt du noch eine andere Übung für weitere drei Jahre auf dich nehmen. Du hast in diesen drei Jahren gut und treu getan, was ich dir aufgetragen hatte, das ist wahr; aber dabei darf man nicht stehenbleiben. O Gott, sagte der arme Junge, wie, ist es noch nicht so weit? Muß man noch einmal von vorne beginnen? Genügen drei Jahre Noviziat nicht? Ach, ich glaubte vollkommen zu sein, indem ich es sein wollte, und trotzdem ist noch so viel zu tun! Nachdem er seine Klagen vorgebracht hatte, war der Vater nicht sehr erstaunt und begann ihn zu ermutigen. Er sagte, nachdem er schon so viel getan habe, müsse er weitermachen. Die Vollkommenheit sei ein so hohes Gut, daß uns weder Mühe noch Zeit reuen dürfen, die man darauf verwendet, sie zu erwerben.

Schließlich war der arme Novize so überzeugt, daß er versprach, noch drei Jahre zu tun, was man ihm sage. Die Übung, die ihm der Vater auftrug, bestand darin, alle Abtötung, Verachtung, Zurechtweisung und Demütigung gut anzunehmen, so daß er nie unterlasse, denen irgendeinen Dienst zu erweisen oder ein Geschenk zu machen, die sie ihm zufügten, und das prompt. Und wenn er nichts anderes zu schenken habe, solle er einen Strauß binden und ihnen schenken, eine Matte flechten oder ähnliche Dinge. Er versprach, es zu tun, und tat es sehr getreu, so daß er keine Gelegenheit zur Übung versäumte; denn der geistliche Vater gab den Auftrag, wenn es notwendig sei, ihn zu prüfen, ob er sich bei jeder Gelegenheit bemühe, Geschenke zu machen, so daß es ihm nicht an Verachtung, Abtötung und Demütigungen fehlte.

Als nun das zweite Noviziat beendet war, kam er, seinem Meister Rechenschaft zu geben, voll Verlangen zu erfahren, ob er vollkommen sei. Der Vater aber sagte ihm: Mein Sohn, das Urteil, ob du es bist oder nicht, steht nur Gott zu; wenn du aber willst, machen wir eine kleine Probe. Er ließ ihn also ganz beschmieren und nahm ihn in eine nahegelegene Stadt mit. An ihrem Tor waren Soldaten, die nichts anderes zu tun hatten, als die Vorübergehenden zu beobachten und über sie zu lachen. Sobald sie den armen jungen Mann sahen, fielen sie über ihn her. Der eine stichelte mit Worten gegen ihn, es kam bis zu Schlägen, andere beleidigten ihn; mit einem Wort, sie belustigten sich mit ihmganz so, als wäre er verrückt. Zu der Meinung, daß er verrückt sei, kamen sie deswegen, weil er, je mehr ihn die Soldaten behandelten, wie ich beschrieben habe, darüber in seinem Herzen solche Freude empfand, daß sie auf seinem Gesicht zu sehen war. Je mehr Beleidigungen man ihm sagte, um so fröhlicher und zufriedener schien er zu sein. Darüber staunten die Umstehenden sehr und der geistliche Vater, der ihn während dieser Probe beobachtete, war damit sehr zufrieden.

Einer der Soldaten kam schließlich durch das Verhalten des armen Novizen zur Besinnung und voll Staunen begann er ihn auszufragen. Er fragte ihn, wieso er lachen könne (er lachte nicht laut, sondern lächelte nur). Er konnte nicht verstehen, daß ein Mensch so unempfindlich gegen Beleidigungen sein konnte, wie er es zu sein schien. Seht ihr, Unser Herr erlaubt stets, daß die Tugenden seiner wahren Freunde und Diener von manchen erkannt werden. Da antwortete der gute Novize: Gewiß, ich glaube guten Grund zu haben, zu lachen und zufrieden zu sein, denn ich habe den Frieden in meiner Seele inmitten eurer Angriffe und eures Gelächters über mich. Aber mehr noch, ich habe allen Grund zufrieden zu sein, denn in Wirklichkeit seid ihr gütiger und freundlicher zu mir, als es mein Meister war, den ihr hier seht, der mich hergebracht hat. Er hat mich nämlich drei Jahre in solcher Unterwürfigkeit gehalten, daß ich allen ein Geschenk machen mußte, die mich quälten, als Vergeltung für die Kränkung, die sie mir zugefügt haben. Ihr dagegen versucht mich zu quälen und zu betrüben und verpflichtet mich nicht, es euch zu vergelten.

Groß war der Friede, den dieser junge Mann in seiner Seele hatte, da Beleidigungen, Spötteleien und Gelächter einer liederlichen Bande ihn überhaupt nicht erschütterten. Das ist der wahre Friede, meine Lieben. Ich wünsche euch, daß er erhalten bleibt, ja daß er zunimmt mitten im Kampf und Wirbel des Sturms der Verfolgungen und Demütigungen, der Abtötungen und Widersprüche, die wir in diesem sterblichen Leben erfahren. Auf diese Bedrängnisse und Nöte werden schließlich Tröstungen und ewige Ruhe folgen, wenn wir sie nach dem Beispiel dieses guten Ordensmannes in innerem Frieden ertragen haben. Nun, solchen Frieden gewinnt man in diesem Leben nur durch die Einheit des Verstandes, des Gedächtnisses und des Willens mit dem Geist, wie wir es eben gezeigt haben. Mehr noch, er kann sich nicht außerhalb der heiligen Kirche finden, wie uns die Erfahrung täglich lehrt. Schließlich und endlich findet er sich stets nur im Gehorsam gegen das heilige Evangelium, das nur Friede ist. Amen.


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