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Zum Fest aller Heiligen

Annecy, 1. November 1617 (OEA IX,112-124; DASal 9,252-262)

Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, es ist in keines Menschen Herz gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (1 Kor 2,9; Jes 64,4).

Meine lieben Schwestern, das sind die Worte, deren sich der hl. Paulus im Brief an die Korinther bedient, um sie anzuspornen, sich von allen niedrigen und irdischen Dingen zu lösen, sich über die hinfälligen irdischen Güter zu erheben, sich von den Neigungen dieses sterblichen Lebens freizumachen, ihre Herzen zu erheben und an die dauerhaften ewigen Güter zu denken. Da ich am Fest aller Heiligen zu euch zu sprechen habe, gedenke ich mich der gleichen Worte des großen Apostels zu bedienen und sie an euch zu richten, um euch durch sie aufzufordern, eure Herzen und eure Gedanken zu erheben zur Betrachtung der ewigen Herrlichkeit und Glückseligkeit, die Gott denen bereitet hat, die ihn fürchten und lieben in diesem Leben, und um euch durch diese Predigt anzuspornen, daß ihr alle geschaffenen Dinge geringschätzt und ihnen eure Liebe entzieht; denn wie der hl. Johannes in der Geheimen Offenbarung (21,1.4) schreibt, werden Himmel und Erde vergehen, d. h. alles hier unten wird ein Ende nehmen.

Um euch nun etwas über diese Herrlichkeit zu sagen, werde ich mich einer Geschichte bedienen, die im 1. Kapitel des Buches Ester wiedergegeben ist. Da wird berichtet, daß der König Artaxerxes ein Festmahl gab, großartiger, als man sehen und denken kann. Hier war alles vorhanden, was notwendig und wünschenswert ist, um ein Gelage ausgezeichnet und denkwürdig zu machen. An erster Stelle: der es veranstaltete, war König über 127 Provinzen; und er war anwesend. Das ist ja etwas vom Wichtigsten beim Gastmahl, daß der Veranstalter daran teilnimmt, besonders dann, wenn er ein Mann von königlichem Rang ist. Was die Speisen betrifft, gab es die vorzüglichsten; die Weine waren die auserlesensten und köstlichsten, die man finden konnte. Die beim Festmahl dienten, waren vom König aufgestellt und erfüllten ihre Aufgabe sehr sorgsam. Der Ort, an dem das Festmahl stattfand, war überaus schön und herrlich. Die Säulen waren aus Marmor, das Pflaster aus Smaragden, die Wandteppiche waren alle mit Seide, Goldund Silberfäden auf azurblauem Grund bestickt. Es gab aus Gold und Silber getriebene Ruhebetten. Die schönste und vollendetste Musik von überaus harmonischen Instrumenten und Stimmen erklang. Überaus kunstvolle Blumenbeete waren mit einer bunten Vielfalt unzähliger Blumen bedeckt. Die Geladenen waren die größten Fürsten des Landes, und das Fest dauerte 180 Tage mit all diesem großartigen Glanz. Mit einem Wort, die Heilige Schrift berichtet darüber als über das Großartigste, das man sagen kann.

Ich habe keine Geschichte und keinen Bericht gefunden, der geeignet wäre, euch die Herrlichkeit und die Glückseligkeit der Heiligen zu schildern, als dieses Bankett des Königs Artaxerxes, weil diese Glückseligkeit nichts anderes ist als ein Fest oder ein Gastmahl, zu dem wir geladen sind (Lk 12,37; 14,15f; Offb 19,9) und bei dem jene, die aufgenommen werden, mit jeder Art von Wonne gesättigt und erfüllt werden. Gewiß, wenn ich dieses Gastmahl mit dem des Königs Artaxerxes zu vergleichen beginne, finde ich, daß dieses nichts ist im Vergleich mit jenem. Es gibt auch nichts, das ihm gleichkommen könnte. Bei diesem Gastmahl des Lammes ohne Makel, wie es der hl. Johannes (Offb 19,7-9; 1 Petr 1,19) nennt, findet sich alles, was wir bei dem des Artaxerxes festgestellt haben, aber in einer viel großartigeren Weise, weil bei ihm alle notwendigen Voraussetzungen zugleich erfüllt sind, um ein Festmahl großartig und ganz bewundernswert zu machen. Der es gibt, ist Gott selbst, der an Größe und Würde alles überragt, was ist und sein kann. Und diese göttliche, königliche Persönlichkeit nimmt am Festmahl teil; ja mehr noch, er ist selbst die Speise (Joh 6,50f.56); er erquickt und sättigt die Geladenen und Auserwählten durch die wunderbaren Mitteilungen seiner selbst. Anwesende und Bedienende sind die Engel, Erzengel und die übrigen himmlischen Geister, die Gott zu diesem Dienst berufen und bestimmt hat. Von der Schönheit des Ortes zu sprechen, an dem dieses Gastmahl stattfindet, ist unmöglich. Aber wir werden die übrigen Dinge im einzelnen erklären, die sich da befinden, und wir werden zu jedem und zu den Umständen und Bedingungen ein Wort sagen, wenn Gott uns die Gnade erweist, uns daran denken zu lassen.

Um mit dem Wichtigsten zu beginnen: Gott, der dieses Festmahl gibt, der anwesend und selbst die Speise ist, die die Geladenen sättigt. Denn hier ist das Lamm, das die Sünde der Welt hinwegnimmt, sagt der hl. Johannes (Joh 1,29); er ist das Lamm des Jeremia (11,9; Offb 5,6.12), das geschlachtet ist für die Sünden der Welt. Das ist Er, der sie getilgt und hinweggenommen hat und der sich zur Speise seiner Auserwählten macht. Nun ist es ganz klar und über jeden Zweifel und jede Kontroverse erhaben, daß die Glückseligkeit der Seligen, wie sie die Theologen lehren, in der Anschauung Gottes besteht, wie umgekehrt die Strafe der Verdammten, die man Verdammnis nennt, im Verlust dieser klaren Anschauung besteht. Über die wesentliche Glorie hinaus gibt es aber noch eine akzidentelle, die den Seligen zusätzlich zuteil wird, wie die Verdammten über die Verdammnis hinaus noch eine andere Strafe erleiden, die man Strafe der Sinne nennt.

Sagen wir ein Wort über die wesentliche Glorie, die darin besteht, Gott unverhüllt zu sehen, so wie er ist (1 Joh 3,2), ohne Schatten und Gleichnis. Man sieht in dieser Glorie so erhabene und kostbare Dinge, daß Gott in seiner unbegrenzten Allmacht keine größeren erschaffen kann. Das erste ist die Gottheit, d. h. Gott selbst; das zweite ist die Mutterschaft der seligsten Jungfrau; unserer erhabenen Mutter und Herrin; das dritte ist die Glorie selbst, deren erhabener Gegenstand Gott ist.

Was den ersten Gegenstand betrifft, der die wesentliche Glorie der Heiligen ausmacht, die Gottheit, kann man nichts Größeres sehen und kann es nichts Größeres geben, denn wie die Theologen sagen, ist Gott ein Sein über allem Sein, ein ganz reiner und einfacher Akt. Nichts ist größer als Gott in der Unendlichkeit seiner Macht und er kann nichts erschaffen, was erhabener als er selbst wäre. Denn wenn er irgendetwas Größeres oder Erhabeneres, als er selbst ist, erschaffen könnte, wäre er nicht Gott, denn Gott ist ein Wesen über allen Wesen, dem keines gleichen kann. Darin stimmen alle Theologen überein und das ist so klar, daß es darüber nie irgendeinen Streit gab.

Das zweite ist die Mutterschaft der seligsten Jungfrau. Sie ist das erhabenste Werk, das der allmächtige Herr in einem einfachen Geschöpf vollbringen konnte; denn wie konnte er sie höher erheben als dadurch, daß er sie zur Mutter Gottes machte, d. h. zu seiner eigenen Mutter (Lk 1,35)?

Das dritte ist die Glorie, die größte Herrlichkeit, die es geben kann, da sie zum Gegenstand Gott selbst hat, eine Klarheit und ein ungeschaffenes Licht, durch das man jedes andere Licht sieht (vgl. Ps 36,10), das aus diesem hervorgeht wie aus seiner Quelle und als seinem Ursprung, ohne es im geringsten zu vermindern.

Dieser drei so großen und überragenden Dinge nun erfreuen sich die Seligen. Hier sehen sie von Angesicht zu Angesicht, klar und deutlich, ohne Schatten, Bild und Gleichnis, Gott den Dreifaltigen und Einen, nicht durch ein Rätsel (1 Kor 13,12), sondern so wie er ist, mit einer Klarheit, daß man das Licht vom Licht sieht. In diesem Licht sehen sie die Größe und Erhabenheit des Geheimnisses der Mutterschaft der seligsten Jungfrau und sehen auch, welcher Art und wie groß die Glorie ist, die Gott seinen Auserwählten schenkt. In dieser klaren Anschauung Gottes kommen sie zur Erkenntnis und zum Verständnis der übrigen hohen und unerforschlichen Geheimnisse, deren Erkenntnis sie mit solcher Freude erfüllt, daß sie eine größere nicht wünschen und ersehnen können. Hier empfangen sie das volle, gerüttelte und nach allen Seiten überfließende Maß (Lk 6,38), weil die Wonne und der Jubel, deren sie sich in dieser wesentlichen Glorie erfreuen, sie durch die Erkenntnis der tiefsten Geheimnisse überaus vollkommen befriedigt. Ach, was denkt ihr, welche Wonne sie empfinden in der klaren Schau des unaussprechlichen Geheimnisses der heiligsten Dreifaltigkeit, des ewigen Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes? Welche Freude zu begreifen, daß der Sohn nicht geringer ist als der Vater, daß der Vater nicht größer ist als der Sohn, um Vater zu sein, und daß der Heilige Geist in allem dem Vater und dem Sohn gleich ist! Welche Wonne zu sehen, daß der Sohn ewig und ebenso alt ist wie der Vater, und daß der Heilige Geist ebenso wie der Vater und der Sohn ist, und daß die drei Personen, da sie ein gleiches Wesen haben, nur ein einziger Gott sind.

Im Leben des gottseligen Ignatius, des Gründers der Jesuiten, habe ich gelesen, daß Gott ihm eines Tages das unaussprechliche Geheimnis der anbetungswürdigen Dreifaltigkeit enthüllte. Durch diese Vision empfing er soviel Klarheit und Licht in seinem Verstand, daß er von da an die denkbar erhabensten Predigten hielt. Er verbrachte mehrere Tage damit, aufzuschreiben, was er erfahren hatte, und füllte mehrere Hefte mit den höchsten und subtilsten Dingen der Theologie. Das zeigt, daß Gott ihn von diesen göttlichen Geheimnissen erkennen ließ, was man in diesem Leben erkennen kann. Daher blieb diese Wahrheit seinem Herzen und seinem Geist so tief eingeprägt, daß er von da an eine einzigartige Verehrung für das heilige Geheimnis der anbetungswürdigen Dreifaltigkeit hatte, so daß er vor Freude verging, sooft er sich daran erinnerte. Wenn schon dieser Heilige solchen Trost durch diese Vision empfing, was meint ihr, wie groß die Freude der Seligen sein muß in der klaren Schau dieses unaussprechlichen Geheimnisses?

Sie sehen auch den unlösbaren Knoten, durch den die Menschheit mit der Gottheit verbunden und vereinigt ist, das unvergleichliche Werk der Inkarnation, in der Gott Mensch und der Mensch vergöttlicht wurde. Sie erkennen klar, wie dieses Geheimnis verwirklicht wurde, als das Wort im Schoß der seligsten Jungfrau den menschlichen Leib annahm, ohne ihre Jungfräulichkeit im geringsten zu beeinträchtigen, da sie ganz rein und fleckenlos blieb, ohne daß ihre jungfräuliche Unversehrtheit irgendwie verletzt wurde. Welche Seligkeit und welche Freude auch, die Früchte und den Nutzen des Empfangs der Sakramente zu sehen. Denn da begreift man, wie durch sie die Gnade sich mitteilt entsprechend der Empfänglichkeit, die man dazu mitbringt; wie die einen sie annehmen, die anderen sie zurückweisen; wie Gott seine wirksame Gnade den einen gibt und sie anderen vorenthält, ohne ihnen Unrecht zu tun. Wer kann sich vorstellen, mit welcher Wonne die Seligen das alles erkennen?

Nun schauen sie nicht nur Gott, der ihre Glückseligkeit ist, sondern sie hören ihn auch sprechen und sprechen mit ihm, und darin liegt einer der vorzüglichsten Gründe ihrer Seligkeit. Aber welche Redeweise haben sie und welcher Sprache bedienen sie sich? Ihre Sprache und Redeweise ist keine andere als die eines Vaters mit seinen Kindern; sie ist ganz kindlich und liebevoll. Da dieser Ort die Wohnung der Kinder Gottes ist, ist auch ihre Sprache ganz kindlich und voll Liebe, denn der Himmel ist der Ort der Liebe, und niemand hat hier Zutritt, der die Liebe nicht hat und Gott nicht liebt. Und welche Worte der Liebe sagen sie? Solche wie diese: Du wirst immer bei mir sein und ich immer bei dir; ich werde mich nie im geringsten entfernen; du wirst von nun an ganz mir gehören und ich ganz dir; du bist ganz mein und ich werde ganz dein sein. Von wem stammen diese Worte? Von keinem anderen als von Gott selbst; er wird sie zum Herzen der treuen, glückseligen Seele sagen; sie wird mit gleicher Liebe als Antwort die lieblichen, wonnevollen Worte der Braut (Hld 2,16; 6,2) sagen: Mein Freund ist ganz mein und ich bin ganz sein. Er ist zur Stunde ganz der Meine und ich werde von nun an die Seine sein. Wenn die Braut diese Worte der Liebe mit solcher Wonne sagt, während sie noch in diesem Tal des Elends weilt, o Gott, was glauben wir, welche Freude und welcher Jubel wird die Seligen erfüllen bei dem Zwiegespräch, das sie in der Glückseligkeit führen werden?

Hier wird ihnen Unser Herr die großen Geheimnisse enthüllen und mit ihnen darüber sprechen, was er gelitten, was er für sie getan hat. Er wird ihnen sagen: Damals habe ich das für dich gelitten. Er wird mit ihnen über das Geheimnis der Menschwerdung sprechen, über ihre Rettung und die Erlösung, und ihnen sagen: Das habe ich getan, um euch zu erlösen und an mich zu ziehen. Ich habe euch so lange erwartet und bin euch nachgegangen, als ihr widerspenstig wart, ich habe euch mit sanfter Gewalt gedrängt, meine Gnaden anzunehmen. Ich habe euch diese Regung und jene Einsprechung zu der Zeit gegeben; ich habe mich jener bedient, um euch an mich zu ziehen. Mit einem Wort, er wird ihnen seine geheimen Ratschlüsse und seine unerforschlichen Wege (Röm 11,33) enthüllen, die er eingeschlagen hat, um sie vom Bösen abzuhalten und sie für die Gnade empfänglich zu machen. In dieser wesentlichen Glorie wird der Verstand ganz erfüllt sein von klarer Erkenntnis, sowohl des Wesens und der Erhabenheit Gottes als auch dessen, was der Erlöser für uns getan und gelitten hat, der Gnaden, die er uns verliehen hat, wie auch der erhabensten und tiefsten Geheimnisse der allerheiligsten Dreifaltigkeit, der Menschwerdung und alles dessen, was die Gottheit und Menschheit Unseres Herrn betrifft, ebenso bezüglich Unserer lieben Frau.

Wie ihr wißt, war der hl. Bernhard ganz erfüllt von Liebe und tiefer Verehrung für Jesus Christus und seine hochheilige Mutter, ganz besonders aber für die Menschheit des Erlösers, so daß er mit besonderer Freude über seine heilige Kindheit betrachtete. Als er sich eines Tages in der Kirche von Châtillon sur Seine in die Betrachtung der heiligen Geburt Unseres Herrn vertiefte, waren sein Verstand und alle seine Fähigkeiten so in ihre Schau verschlungen, so erfüllt von Trost und Bewunderung, daß er davon völlig eingenommen war und mehrere Tage blieb, ohne sich losreißen und zurückziehen zu können, soviel er sich auch bemühen mochte. In welchem Abgrund, ich bitte euch, wird sich der Verstand des Menschen verlieren bei der klaren Schau nicht nur der Geburt des Erlösers, sondern aller göttlichen Geheimnisse? Der Wille wird dann unlösbar mit seinem Gott vereinigt sein, ohne ihm je irgendeinen Widerstand leisten zu können; vielmehr wird er stets ohne jedes Widerstreben alles erfüllen, was seinem göttlichen Willen entspricht.

Nun bleibt das Gedächtnis, das ganz erfüllt sein wird von Gott und von allem Guten, das er uns in diesem Leben erwiesen hat, und selbst von dem geringen Dienst, den wir ihm geleistet haben im Vergleich zu dieser großen Belohnung und Vergeltung. Die Kräfte und Fähigkeiten der seligen Geister werden so befriedigt sein, daß sie nichts wünschen können über das hinaus, was sie besitzen. Ich werde sie speisen, sagt Gott (Offb 2,17), mit himmlischem Manna, das sie sättigen wird; außerdem werde ich jedem einen Stein geben, auf den ein Name geschrieben ist, den niemand kennt als jener, der ihn empfängt. Was ist dieser weiße Stein, der der glückseligen Seele gegeben wird, anderes als Jesus Christus, der wahre Eckstein (Jes 28,16; 1 Petr 2,4.6), der sich jedem Seligen schenkt durch die wonnevolle Mitteilung seiner selbst? Was das Weiß dieses Steines betrifft, so ist es nichts anderes als die strahlende Reinheit Unseres Herrn, des wahren Lammes ohne Makel (1 Petr 1,19). Aber was wird das für ein Name sein, der in diesen Stein eingeprägt ist? Es besteht gewiß kein Zweifel, daß wir gleichsam die Lettern sind, die in die Menschheit des Erlösers eingeprägt wurden: Er hat uns in seine Hände geschrieben (Jes 49,16), denn die Nägel, die sie durchbohrten, haben uns in sie eingeprägt; ebenso hat er uns in sein Herz geschrieben, als sie seine Seite öffneten.

Als ich diesen Abend darüber nachdachte, was ich euch sagen soll, kam mir folgender Gedanke: Das Wort, das auf diesen weißen Stein geschrieben ist, das niemand kennt als jener, der ihn empfängt, ist nichts anderes als ein kindliches Wort, ein Wort der Liebe von der Art jener, über die wir gesprochen haben: Ich bin ganz dein und du ganz mein; du wirst dich nie von mir trennen und ich werde mich nie von dir entfernen. Ach, meine teuersten Schwestern, darin liegt der Gipfel des Glückes der Seligen, daß diese Glückseligkeit ewig sein und nie ein Ende haben wird. Was bereitet denn in den Glücksfällen dieses Lebens mehr Freude als die Hoffnung, daß sie von langer Dauer sein werden? Umgekehrt drückt und vermindert nichts so sehr die Freude wie die Furcht, daß sie nicht lang währen und bald vorübergehen werde. Die Seligen aber besitzen die Glückseligkeit mit einer vollkommenen Freude, frei von jeder Furcht und Sorge. Sie brauchen keine Angst zu haben, das Gut zu verlieren, dessen sie sich erfreuen, denn sie haben die Gewißheit, daß ihre Glorie ewig sein wird und ihnen nie genommen werden kann (Lk 10,42).

Ihr habt sicher im Leben der gottseligen Mutter Theresia gelesen, mit welcher Frömmigkeit sie das Credo der heiligen Messe hörte, wie es die Kirche singt, besonders andächtig aber die Worte: cujus regni non erit finis, die bedeuten: sein Reich wird ewig währen. Bei der Erwägung dieser Ewigkeit zerfloß sie ganz in Tränen außergewöhnlicher Freude. Gewiß, ich habe diesen Zug im Leben dieser großen Heiligen nie gelesen, ohne zutiefst gerührt zu sein, trotz meines Elends und meiner Herzenshärte. Wenn nun der Gedanke, daß das Reich Gottes ewig ist, im menschlichen Herzen solchen Jubel bewirkt, was meint ihr, wie groß die Freude der himmlischen Geister sein muß über die Gewißheit, die sie von der Ewigkeit ihrer Glorie haben? Das ist es, was ich über die wesentliche Glorie der Seligen sagen wollte.

Sagen wir nun einige Worte zur akzidentellen Glorie. Wie wir gesagt haben, kommt sie ihnen zusätzlich zu. Diese akzidentelle Glorie ergibt sich aus verschiedenen Dingen, vor allem aber aus der Anschauung und klaren Schau aller Bewohner des Himmels. Ihr wißt, daß nicht alle die Glorie in gleichem Maß besitzen, sondern in verschiedenen Graden: die einen haben sie in höherem Maß als die anderen, trotzdem aber sind alle zufrieden und gesättigt. Die sie in geringerem Maß besitzen, freuen sich über diejenigen, die mehr haben, denn im Himmel ist die Liebe vollendet und es gibt dort weder Neid noch Eifersucht (vgl. 1 Kor 13,4f); sie freut sich vielmehr über die Glorie der seligen Bewohner, und durch diese Anteilnahme und Mitteilung der einen an der Glückseligkeit der anderen sind alle befriedigt. Das werdet ihr jedoch durch einige Beispiele besser verstehen.

Da ist ein guter Familienvater, der seine zwei Kinder in goldgewirktes Tuch kleidet. Da die beiden aber nicht von gleicher Größe und Statur sind, braucht man für das eine mehr Stoff als für das andere. Für das eine braucht man davon sechs oder sieben Ellen, für das andere nur drei oder vier. Wenn ihr sie anschaut, sind beide in goldgewirktes Tuch ekleidet und sie sind zufrieden, zumal jedes genug für sein Gewand at. Obwohl der erste davon sieben Ellen und somit mehr als der mit drei oder vier Ellen hat, hat dieser überhaupt keinen Neid gegen ihn, weil sein Gewand soviel Tuch hat, als es braucht, um ihn zu kleiden.Ebenso ist es mit der Seligkeit: alle sind glücklich über den Lohn und ihren Anteil an der Glorie.

In diesem Leben vernehmen alle den Ton und Akkord einer Musik verschieden. Wer etwas schwerhörig ist, kann in ihr nicht alles so gut wahrnehmen, was die Melodie vollkommen macht, obwohl der die Musik hört und erkennt, wie jener, der ein feineres Gehör hat. Obwohl der erste sich an der Lieblichkeit erfreut, die er beim Hören dieser Musik empfindet, empfindet er sie doch nicht im gleichen Maß wie jener, der sie besser hört, obwohl beide befriedigt sind.

Die Sonne wird nicht von allen in gleicher Weise gesehen. Trotzdem erfreuen sich alle ihres Lichtes und empfangen, soviel sie davon vertragen können. Denn wer triefende Augen hat, kann die Sonnenstrahlen nicht mit der gleichen Helligkeit wahrnehmen wie jener, der gute Augen hat. Trotzdem sind die einen wie die anderen erfreut, obwohl die Befriedigung der einen viel größer ist als die der anderen.

Über die Schönheit des Ortes zu sprechen, an dem das Festmahl stattfindet, die auch ein Teil der akzidentellen Glorie ist, und über die Würde derjenigen, die daran teilnehmen und dabei dienen, das würde zu lange dauern, wollte man es beschreiben. Zudem wäre alles, was man darüber sagen könnte, nichts im Vergleich zur Wirklichkeit. Die Mutter Theresia bemüht sich bei der Beschreibung der Schönheit des Himmels, einige Vergleiche zu finden, um manches verständlich zu machen. Sie vergleicht also das Paradies mit einem großen Saal, der ringsum bedeckt ist mit schönen Bildern und Spiegeln. Wenn man sich nun, sagt sie, in einem dieser Spiegel betrachten will, wird man diesen Spiegel sehen, in dem man sich betrachtet, und man wird sich selbst sehen; und zugleich wird man mit einzigartigem Vergnügen alle Bilder und alle Spiegel in diesem Saal sehen. Was aber noch mehr ist, man wird darin auch alles wahrnehmen, was die anderen Spiegel im einzelnen zeigen. Dieser Saal mit den Spiegeln ist ein schwaches Bild des Himmels. Was ist denn dieser Spiegel, in dem man alles sieht, wovon ich gesprochen habe, anderes als das Wesen Gottes, in dem man ihn schaut und ihn selbst erkennt, so wie er ist? In diesem gleichen Wesen erkennt man sich selbst mit allem, was man empfangen hat, und man sieht in ihm auch die Glorie aller anderen Heiligen, alle ihre Verdienste, was sie alles getan und gelitten haben, und alle Gnaden und Gunsterweise, die ihnen verliehen wurden. Man sieht auch alle geschaffenen Dinge: wie Gott den Himmel erschaffen hat, ihn mit Sonne und Mond geschmückt, ihn mit Sternen und allem bereichert hat, was sich an ihm befindet; wie er die Erde geschaffen hat, prangend in solcher Vielfalt von Blumen; mit einem Wort, wie er alles geschaffen hat und wie er dabei vorging. Das alles wird ein Bestandteil dieser akzidentellen Glorie sein, die aus der wesentlichen hervorgeht, wie ihr seht.

Zur akzidentellen Glorie der Seligen gehört auch eine klare Schau der Kerubim und Serafim, der Throne und Herrschaften, der Kräfte, Mächte, Fürsten, Erzengel und Engel. Das sind die neun Chöre der seligen Geister, eingeteilt in drei Ordnungen, unter denen sich die Heiligen befinden. Sie werden den Glauben der Patriarchen bewundern, den Gehorsam der Propheten, die Liebe der Apostel, den glühenden Eifer der Märtyrer, die Reinheit der Jungfrauen, die Demut und Treue der Bekenner. Sie werden ihre Bußwerke erkennen, ihr Fasten, ihre Nachtwachen und Abtötungen; schließlich wird die Vollkommenheit, Heiligkeit und Glorie aller Heiligen zur akzidentellen Glorie aller insgesamt und jedes einzelnen im besonderen beitragen.

Darüber hinaus wird nach der Auferstehung unser Leib verherrlicht sein (ich sage „unser“ Leib unter der Voraussetzung, die ich immer mache, daß uns nämlich Gott die Barmherzigkeit erweist, zur Zahl der Auserwählten zu gehören). Er wird wie unsere Seele die vier Gaben der Glorie haben: die Einfachheit, die Behendigkeit, die Leidensunfähigkeit und die Herrlichkeit. Jetzt ist unsere Seele in unseren Leib eingefügt, wenn man so sagen darf, der sie trägt und dahin zu gehen nötigt, wohin er will, und sie scheint sozusagen irgendwie an seinem Elend teilzuhaben (Weish 9,15). So werden bei der Wiedervereinigung der verherrlichten Seele mit dem Leib diesem die vier Gaben und Kleinode der Glorie mitgeteilt, durch die sie ihn lenken und führen wird, wohin sie will, ohne daß er ihr irgendeinen Widerstand leistet. Er wird eine so große Einfachheit besitzen, daß er durch kein Hindernis aufgehalten wird; eine Behendigkeit, daß kein Pfeil schneller fliegt. Und wie er einfacher sein wird als der Strahl der Sonne, so wird er ebenso behende sein wie die Regungen des Geistes und schneller als der Wind. Er wird die Leidensunfähigkeit besitzen, die in keiner Weise verletzt oder verändert werden kann, so daß er nie einer Krankheit oder Unpäßlichkeit unterworfen sein wird, und seine Klarheit wird schöner sein als die der Sonne (Mt 13,45). Mit einem Wort, als Höhepunkt der Glückseligkeit werden die Seligen Gott gleich sein (1 Joh 3,2), nämlich durch Teilhabe. Das lehrt uns die Heilige Schrift, wenn sie (Ps 50,1) Unseren Herrn den Gott der Götter nennt, d. h. den Gott all der kleinen Götter, der Heiligen, die im Paradies sind.

Ich wollte euch noch ein Wort zu all den anderen Dingen sagen, die sich beim Gastmahl des großen Artaxerxes, Unseres Herrn, finden; aber ich sehe, daß die Zeit vorangeschritten ist. Deshalb beende ich diese Predigt, weil ich an einen anderen Ort gerufen bin, weil ich außerdem eure Geduld nicht mißbrauchen darf. Was bleibt mir noch zu sagen, meine lieben Schwestern, als euch von neuem mit den Worten des hl. Paulus aufzufordern, eure Herzen und eure Gedanken zu erheben zu den Gütern, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, keines Menschen Herz empfunden, die Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (1 Kor 2,9) in diesem Leben. Strengt euren Verstand an, sie zu betrachten, meine lieben Schwestern, damit ihr durch die Schönheit und die Vorzüge, die ihr dabei entdeckt, dahin kommt, sie zu lieben und zu ersehnen. Entzieht eure Liebe allen geschaffenen und vergänglichen Dingen dieses Lebens und befleißigt euch sorgsam zu tun, was notwendig ist, um die unvergänglichen zu erlangen. Seid ausdauernd, das göttliche Geheimnis Unseres Herrn und unserer Erlösung zu betrachten (Eph 1,9f; 3,3f.9), damit euer Wille es zu lieben beginnt durch die Erkenntnis, die er davon erwirbt. Man muß ja dieses Gut auf Erden lieben, um es ewig im Himmel zu lieben, weil es keinen Himmel gibt für einen, der keine Liebe hat.

Spannt also euren Willen hier auf Erden an, ihn soviel als möglich zu lieben. Es gibt keine Grenze und kein Maß für die Liebe. Die rechte Art, Gott zu lieben, ist, ihn mehr als alles und über alles zu lieben. „Das Maß“, sagt der hl. Bernhard, „ist, kein Maß zu haben.“ Erfüllt euer Gedächtnis mit all diesen Dingen und richtet es auf Gott, indem ihr ihm die Erinnerung und Vorstellung all dessen entzieht, was nicht Gott ist; nährt es mit diesen göttlichen Geheimnissen, sowohl der Kindheit des Erlösers als seines ganzen übrigen Lebens, seines Leidens und Todes. Füllt es auch mit der Erinnerung an eure Fehler und Untreuen, um euch zu demütigen und zu bessern; mit den Wohltaten, die ihr von Gott empfangen habt, um ihm dafür zu danken. Und wenn ihr Gnaden empfangen habt, dann erinnert euch an sie, um sie gut zu pflegen und zu bewahren und euch dadurch für ihre Vermehrung und ihr Wachstum bereit zu machen. Wirkt schließlich treu in diesem Leben und seid beharrlich bis zum Ende (Mt 10,22; 24,13), auf daß ihr in der ewigen Glückseligkeit den seligen Geistern zugezählt und mit ihnen vereinigt werden könnt, um die göttliche Majestät zu lieben und euch ihrer zu erfreuen in alle Ewigkeit. Das ist es, was ich euch von ganzem Herzen wünsche. Amen.

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