Vorschläge zu Predigten über Louis Brisson

Thema I: Glaube und Religion heute

P. Brisson war nicht nur ein Priester, der später eine Ordensgemeinschaft gründete. Seine Liebe galt auch der Naturwissenschaft. Auch wenn er Visionen skeptisch betrachtete und er mehr auf die Realität sah als in die Zukunft, so kann man doch festhalten, dass sein Denken von Weitblick geprägt war.

1893 sagte er in einem Kapitelvortrag u. a. folgende Sätze: „Die Religion wird ziemlich häufig in den Familien fast nur noch als bloße Formsache betrachtet… der Glaube ist nicht mehr als eine bloße Verstandesunterweisung. Es genügt aber doch nicht, so recht und schlecht unsere Pflichten gesagt zu bekommen, man muss sie auch gleichzeitig erfüllen. Genauso wenig wie ein Arbeiter seinen Beruf beherrscht, wenn er die Theorie auswendig im Kopf hat. (Kapitel 1893,16-19)

Man beachte: 1893 hat der Pater dies gesagt. Sind diese Sätze nicht heute sehr aktuell? Ich will jetzt nicht in das allgemeine Klagelied des Jammerns einstimmen. Viele reden von einer Kirchenkrise. Der Glaube verdunstet und es gibt einen Priester- und Gläubigenmangel. Immer weniger kommen am Sonntag zum Gottesdienst. Man mag dies bedauern. Aber Bedauern reicht nicht. Vielleicht hilft an dieser Stelle ein Blick in die Bibel. Es lohnt sich, einmal in aller Ruhe die Verse 1-8 im Kapitel 16 des Markusevangeliums zu lesen. Dieser Abschnitt erzählt nicht von einem Osterspaziergang in der erwachenden Natur. Die drei Frauen sind auf dem Weg zum Grab, wie unsereins zum Friedhof geht. Ein Gang zum Friedhof ist alles andere als ein Osterspaziergang. Die Markusperikope ist zwar ein Osterevangelium, aber es geht hier nicht nur um die Auferstehung Jesu. Es geht auch um unseren Glauben und wie wir ihn praktizieren. „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“

Wo sind wir mit unserem Glauben? Ist er nur noch Balsam, mit dem wir aus Gründen der Pietät guten Geruch verbreiten möchten? Dient er gerade noch dazu, von Weihnachten über Ostern und Pfingsten, von Taufe über Erstkommunion und Hochzeit bis hin zur Beerdigung das Leben etwas feierlicher zu gestalten? Versuchen wir, eine tote Gestalt zu konservieren, als ob noch Leben da wäre? Wahren wir Jesus nur noch ein frommes Andenken? „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ – So ist nicht nur jeder einzelne von uns gefragt, so sind wir als Kirche und Gemeinde und Ordensgemeinschaft gefragt. Suchen wir Jesus am richtigen Platz, bei den Lebenden? Wie viel in der Kirche ist nur noch traditionelle Pflege einer vergangenen Gestalt alter Formen, die längst gestorben sind? Wo sind wir auf dem Weg zum Grabe, statt dass wir Zeugnis vom Lebendigen geben? Diese Frage Gottes an uns darf in unseren Gemeinschaften nicht zum Schweigen kommen und sollte uns sehr nachdenklich machen.

Wo suchen wir Jesus und welche Rolle spielt er noch in meinem Leben? Was machen wir nicht alles um Kinder und Jugendliche zu den Sakramenten zu führen? Zwischen Rigorismus und Ausverkauf ist da alles zu finden. Ich will jetzt mit diesen Gedanken die ehrenamtliche Mitarbeit von Laien und den Einsatz der Hauptamtlichen nicht schlecht machen. Aber die Frage sei schon erlaubt: Wer ist Herr im Haus der Kirche? Es scheint, dass es darüber Unklarheiten gibt: der Papst und die Bischöfe? Oder die Theologen? Oder die Basis? Eine andere Basis kann niemand legen als die, die gelegt ist: Jesus Christus“(1 Kor 3,11) Er ist der Herr. Die Kirche lebt nicht von der sogenannten Basis und von den Theologen, nicht vom Papst und von den Bischöfen, sondern von Jesus Christus, dem Herrn des Lebens. Merkt man uns das an, wo das Leben zu suchen und zu finden ist? Sind wir Zeugen des lebendigen Herrn? In einem religiösen Gesprächskreis ging es um die Beziehung von Jesus zu Petrus. Ein Teilnehmer sagte: „Die Kirche hat nur Zukunft, wenn jeder einzelne sich um eine tiefe Beziehung/Freundschaft zu Jesus bemüht und nicht nur so Christ ist und versucht aus dieser Beziehung zu leben.“

P. Brisson hatte schon damals erkannt, dass der Glaube mehr sein muss als eine bloße Verstandesunterweisung. Er muss unser Herz anrühren, ja, er muss eine Herzensangelegenheit sein. Wer ist Jesus für mich? Wenn ich ihn in mein Herz lasse, dann ergibt sich alles andere daraus. Franz von Sales spricht an dieser Stelle von Weltfrömmigkeit. „Eine Mutter, die den Willen Gottes erfüllt, in dem sie am Sonntag ihr krankes Kind pflegt und nicht in die Kirche geht, lebt damit genauso heilig, wie ein Trappist, der den ganzen Tag vor dem Tabernakel sitzt, schweigt, fastet und betet.“

Wenn wir so Zeuginnen und Zeugen des lebendigen Herrn sind, dann sind wir am richtigen Platz – in unserer Kirche und in der Gesellschaft. Amen.

Verfasser: Pater Hans-Werner Günther OSFS, Salesianum Eichstätt, Juni 2012.

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Thema II: Gebet

Wer betet heute noch? Ist das Gebet nicht ein alter Ladenhüter? Beten: Das tun doch heute nur noch alte Frauen, die in der Kirche den Rosenkranz beten! Beten ist doch im Jahr 2012 total uncool!!! Wirklich?

Es gibt viele Arten von Gebet. Es gibt die Grundgebete (Vater unser, Ave Maria, Glaubensbekenntnis etc.), die aber schon die Erstkommunionkinder heute nicht mehr kennen. Daneben gibt es eine Reihe von vorformulierten Gebeten zu allen Anlässen (Lob- und Dankgebete, Klagegebete). Es gibt die Psalmen, die vor allem in Klöstern gebetet werden. Es gibt das gemeinschaftliche Gebet und das Gebet des Einzelnen. Man kann leise und laut beten.

P. Brisson sagt über das Gebet: „Beten heißt, unsere eigenen Angelegenheiten mit Gott abhandeln, uns mit ihm darüber einfach liebevoll unterhalten; nicht nur über die spirituellen Angelegenheiten, sondern über alle unsere Angelegenheiten (Chapitre 16.5.1894).“

„Ohne Gebet kannst du nie Erfolg haben. Es wäre Torheit, dies überhaupt versuchen zu wollen (Kapitel 1897, 48-50).“

„Wenn das, was wir Gott sagen und versprechen, uns dazu führt, uns an seine Füße und in seinen Armen zu halten; wenn wir ihn um sein Licht bitten, um uns zu erleuchten; wenn wir ihn fragen, wie wir uns verhalten sollen, um gut zu handeln; wenn wir ihn bitten, uns zu Hilfe zu kommen, dann ist das echtes Gebet (Chapitre 16.5.1894).“

Mit diesen Zeilen kommt P. Brisson nicht zu einer revolutionären neuen Erkenntnis über das Beten. Aber er macht deutlich: Beten ist Sprechen mit Gott oder Jesus und es ist ein Anschauen meines Lebens. Vor Gott brauche ich mich mit meinem Leben nicht zu verstecken. Das Gebet ist kein frommes Murmeln. Es ist ein Gespräch mit einem guten Freund, der mich kennt und der mit mir durch das Leben geht. An dieser Stelle werden einige jetzt einwenden wollen: Gott ist doch mehr als ein guter Freund. Mag sein, aber er ist es auch und vor allem. Die hl. Theresia von Avila hat gesagt: „Beten ist Verweilen bei einem Freund.“ Ich kann, muss aber nicht mit ihm reden. Manchmal ist auch Schweigen in einer Freundschaft ganz wichtig. Eine gute Freundschaft ist belastbar und so kann ich dem Freund auch unangenehme Dinge sagen. Mit einem guten Freund kann ich über alle meine Angelegenheiten sprechen. So meint auch P. Brisson, dass ich mit Gott wie mit einem guten Freund über alle meine Angelegenheiten sprechen kann. Vor ihm brauche ich nichts zu verbergen.

Ein Gebet kann eine Bitte sein, für mich und die Menschen, die mir am nächsten sind. Bitte um Kraft in einer schweren Situation. Bitte um Hilfe, wenn man selbst nicht mehr weiter weiß. Bitte um einen klaren Kopf bei der Mathearbeit. Ein Gebet kann ein „Danke sagen“ sein, in dem ich Gott für Gewesenes danke. Dank für einen gelungen Tag. Dank für gute Gedanken. Dank für Freunde und Familie. Bitte und Dank, das ist der Rahmen, in dem sich die meisten unserer Gebete bewegen. Ein Gebet kann aber auch noch mehr sein.

Ein Gebet kann sich auch in eine Klage an Gott richten. Nicht wenige Psalmen der Bibel enthalten solche Klagen, in denen der Beter Gott die ganzen Probleme vor die Füße schmeißt und nach seiner Verantwortlichkeit fragt. Solche Gebete sind für die umstehenden Hörer oft am schwersten zu ertragen. Besonders ich als Theologe möchte doch Dinge erklären und Gott den Menschen nahe bringen. Aber es gibt Zeiten und Situationen, da stehen wir als Menschen fassungslos vor den Ereignissen und jede notdürftig zusammen gezimmerte Erklärung wirkt wie Hohn. Wo ist Gott beim Tod eines Kindes? Wo ist Gott bei einer schwangeren Frau, die voll von Krebs ist und wegen des Kindes nicht behandelt werden kann? Wo ist die Liebe Gottes in der Welt sichtbar anlässlich von so viel Gewalt und Blutvergießen?

Es gibt Situationen, da will und kann ich nicht vom liebenden und allmächtigen Gott reden, sondern nur noch in die Klage vor Gott einstimmen. Oft wird eine solche Klage als der Abfall von Gott verstanden, aber gerade das Gegenteil ist der Fall. Wer Gott seine Not klagt, der bleibt an Gott dran. Der lässt nicht einfach von ihm ab, wenn nicht mehr alles so ist, wie es sein sollte. Klagen vor Gott bringen ist nicht der Abfall vom Glauben, sondern vielleicht die intensivste Form des Gebetes. Im Gebet kann somit alles vor Gott gebracht werden: Bitte, Dank und auch die Klage.

Nichts muss heruntergeschluckt oder verheimlicht werden. Denn vor wem sollte ich mich verstellen im Gebet? Vor mir selbst kann ich mich wohl schlecht verstellen und vor Gott sich zu verstellen ist ziemlich aussichtslos. Ich brauche im Gebet keine Maske aufzusetzen, nicht den heiteren Menschen geben, der alle Probleme lösen kann. Ich kann mich so geben, wie ich bin. Ich kann meine Freude und meine Sorgen offen aussprechen. Ich kann meine Heiterkeit und Trauer herauslassen.

So kann das Gebet ein Raum der völligen Offenheit und Aufrichtigkeit werden. Schon diese Offenheit verleiht dem Gebet eine Kraft. Ehrlich vor Gott und mir selbst zu sein ist eine Kraft des Gebetes, die wir nicht unterschätzen sollten.

Aber auch wenn ich mit all meinen Angelegenheiten zu Gott kommen darf, bleibt doch festzuhalten: Gott ist kein Automat, in dem ich ein Geldstück hineinwerfe und es kommt das heraus, was ich gewählt habe.  Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen.“ Gott verspricht uns nicht, dass wir ein Leben ohne Sorgen führen werden, dass kein Leid uns etwas antun kann. Aber er verheißt uns, dass er mit uns gehen will und dass er bei uns ist in schönen und schweren Tagen. Jesus hat die Jünger von Emmaus nicht vor Traurigkeit über seinen Tod bewahrt, aber er war mit ihnen auf dem Weg nach Emmaus und hat ihnen Trost gespendet und sie begleitet. So bin ich fest davon überzeugt, dass er auch uns auf unserem Lebensweg begleitet, denn ich glaube an seine Verheißung, die in der Bibel so zu lesen ist: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Amen.

Verfasser: P. Hans-Werner Günther OSFS, Salesianum Eichstätt, Juni 2012

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Thema III: Achtung, Ehrfurcht, Liebe

Ich habe ganz bewusst die dritte Predigt über ausgewählte Zitate von P. Brisson mit diesen Worten überschrieben, weil dieses Begriffe zur Höchstform der Wertschätzung des Menschen führen: die Liebe. Diese Hinführung zur Liebe ist auch in den Exerzitien- und Kapitelvorträgen von P. Brisson zu erkennen. Die folgenden Zitate mögen dies belegen.

Achtung
„Seit unserer Geburt haben wir sicher sehr viele Fehler begangen, und ein großer Teil davon hat ihre Wurzeln darin: Wir haben diesen Grundsatz vergessen, den Grundsatz der Hochachtung vor unseren Mitmenschen, der Achtung vor ihren Gedanken und Meinungen, der Scheu, nicht das niederzureißen, was andere aufbauen. (Exerzitien 1894,56-58)

Ehrfurcht
„Zeigen wir uns also stets leutselig und sehr höflich. Bringen wir jedem große Achtung entgegen; denn die wohlverstandene Ehrfurcht vor dem Nächsten ist die Grundregel der Liebe. (Kapitel 1888,38)

Liebe
„Auf dem Prinzip der Liebe beruht unser ganzes Tun. (Kapitel 1893, 32-33)“
„Statt die Schranken eurer Liebe mehr und mehr einzuengen, solltet ihr sie immer mehr erweitern; so werdet ihr Gottes Segen ernten, denn Gott segnet nun einmal die liebenden Herzen. (Kapitel 1895,72-74)“
„Wir haben ein Herz! Beachten wir das. Gott hat sich mit seiner Schöpfung nicht geirrt. Er hat in dieses Herz Schätze der Liebe und Zärtlichkeit gelegt, je nach der verschiedenen Berufung, zu der er die Menschen bestimmt. Diese Liebe muss aus dem Herzen aufsteigen, sich ausbreiten und mitteilen. Das ist das Gesetz jeder Liebe. (Exerzitien 1897,17)“

Diese Sätze von P. Brisson lassen erkennen, dass er ein Schüler des hl. Franz von Sales und ganz in der salesianischen Spiritualität verwurzelt war. Für Franz von Sales stand der Mensch im Mittelpunkt seiner Spiritualität. Er sah nicht so sehr auf das Äußere eines Menschen, sondern vielmehr auf sein Herz. Wer das Herz eines Menschen besitzt, so war Franz von Sales der Auffassung, besitzt den ganzen Menschen. Achtung, Ehrfurcht und Liebe waren auch für Franz von Sales mehr als nur kleine Tugenden, die es zu beachten galt. Sie waren für ihn die Säulen seiner Spiritualität.

Schauen wir uns dieses drei Säulen einmal etwas näher an.
Wie sähe unsere Welt aus, wenn die Menschen sich mit Hochachtung voreinander begegnen würden; wenn sie die Gedanken und Meinungen der Anderen achten würden? Ich glaube, der Weltfrieden wäre schon in Sichtweite. Aber davon sind wir leider noch weit entfernt.

P. Brisson fordert uns auf stets leutselig und sehr höflich zu sein. Was meint er mit Höflichkeit? Ein Wort, das etwas altmodisch klingt, aber – wie ich finde – sehr aktuell ist.
Die Haltung der Höflichkeit beschreibt ursprünglich das Verhalten, das dem Leben bei Hofe entspricht. Hof ist dabei nicht der Bauernhof, sondern der Hof des Königs oder Kaisers. „Höflich“ bedeutet daher: hofgemäß, fein, gebildet und gesittet. Im Deutschen hat Höflichkeit dann zusätzlich die Bedeutung „zuvorkommend“ angenommen: Ich habe ein Gespür für den anderen. Ich verhalte mich hofgemäß, nämlich so, wie es an einem Königshof angemessen ist. Ich behandle die Menschen in meiner Umgebung als königliche Menschen mit einer unantastbaren Würde. Höflichkeit ist daher immer Ausdruck von Wertschätzung.

Weiter heißt es bei P. Brisson: „Bringen wir jedem große Achtung entgegen; denn die wohlverstandene Ehrfurcht vor dem Nächsten ist die Grundregel der Liebe.“ Damit sind wir bei der Höchstform der Wertschätzung angekommen.

Die Liebe, die aus dem Herzen kommt, so verstehe ich P. Brisson, ist eine Kraftquelle, aus der ich immer wieder schöpfen kann und die mir auch Kraft gibt die anderen Menschen anzunehmen. Dazu ein kleines Beispiel: Wenn Sie in eine Sitzung mit Ihren Führungskräften oder mit Mitarbeitern mit dem Gefühl hineingehen: „Wie schrecklich, jetzt muss ich mich wieder mit diesen Querulanten und Besserwissern herumstreiten“, dann haben Sie sicher nach zwei Stunden Kopfweh. Wenn Sie aber denken: „Die sind nicht alle einfach, aber ich mag sie und arbeite gerne mit ihnen zusammen“, dann werden Sie plötzlich feststellen, dass Sie sich gegenseitig die Ideen wie Bälle zuwerfen und nach zwei Stunden erfrischt aus dem Meeting gehen. Werte sind Kraftquellen.

Zur Liebe noch ein kleiner Exkurs: Die Liebe bewirkt immer auch eine liebende Aufmerksamkeit – nicht nur Menschen gegenüber, sondern auch gegenüber der Natur und den Dingen, die uns umgeben. Die Liebe zur Natur lässt uns wertschätzend und achtsam mit ihr umgehen und nachhaltig und mit dem rechten Maß wirtschaften.

Aber schauen wir an dieser Stelle auf die Menschen, mit denen wir unmittelbar zusammen leben. Schauen wir auf die Familie. Die Familie ist der Ort, um Wertschätzung/Liebe zu üben. Natürlich schätzt der Mann seine Frau und die Frau ihren Mann, sonst hätten sie doch nicht geheiratet. Oder? Aber im täglichen Zusammenleben werden wir selbst in unserer engsten Beziehung, nämlich der zu unserem Partner, oft nachlässig. Wir vergessen, dem anderen immer wieder unsere Wertschätzung zu zeigen. Wir kommen von der Arbeit nach Hause und haben noch die Sitzungen, Probleme und Aufgaben von dort im Kopf. Oder wir haben den Tag mit Hausarbeit und Kinderbetreuung verbracht oder sind geistig noch beim Wocheneinkaufsplan und dem Streit auf dem Spielplatz. Allzu oft haben wir keine echte Aufmerksamkeit für den Partner übrig.
Besonders Männer tun sich oft damit schwer, Wertschätzung und damit Liebe gegenüber der Partnerin zu zeigen, beziehungsweise sehen nicht recht ein, warum das nötig ist. Wenn Frauen sich über mangelnde Wertschätzung seitens ihrer Partner beschweren, bekommen sie oft die gereizte Antwort: „Ich habe dir doch schon so oft gesagt, dass ich dich liebe, dass ich schätze, was du tust und was und wie du bist. Wie oft soll ich dir das denn noch sagen?“ Männer meinen, wenn sie all das einmal deutlich gesagt haben, sei es genug.
Das ist ein Irrtum, und zwar nicht nur Frauen gegenüber. Wir alle brauchen täglich Wertschätzung: in der Ehe, Familie, Ordensgemeinschaft, Freundschaft, Gemeinde, Kirche und Gesellschaft. Wenn wir an die eigene Bedürftigkeit denken, können wir uns vorstellen, dass es auch dem anderen gut tut, wenn wir ihm täglich ein ermunterndes, ein dankendes, ein wertschätzendes Wort sagen. Es kostet ja eigentlich nichts, nur Aufmerksamkeit, Liebe und einen offenen Blick für den anderen, und den Mut, das, was wir fühlen, auch zu sagen.

Schließen will ich mit einem Satz von P. Brisson, der die Predigt auf den Punkt bringt: „Auf dem Prinzip der Liebe beruht unser ganzes Tun.“ Amen.

Verfasser: P. Hans-Werner Günther OSFS, Salesianum Eichstätt, Juni 2012

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Thema IV: Dein Wille geschehe

Von Klein auf ist uns das Vaterunser in Fleisch und Blut übergegangen. Es ist die Antwort Jesu Christi auf die Frage, wie wir beten sollen. Das Gebet des Herrn hatte damit einen vorrangigen Stellenwert unter den Gebeten der Christenheit von Anfang an. Wir beten es sehr oft und sehr oft beten wir es mehr oder weniger gedankenlos. Es kommt uns einfach über die Lippen, ohne viel darüber nachzudenken, was wir denn da eigentlich genau beten. Ein Satz des Vaterunsers macht uns das besonders deutlich: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ Einfach so dahingebetet ist das kein Problem. Schwierig wird es erst, wenn Gott uns beim Wort nimmt. Wenn er tatsächlich einmal etwas tut, was wir gar nicht wollen. Und das kommt in unserem Leben eigentlich öfters vor als wir vielleicht meinen. Vor allem, wenn Ereignisse unseres Lebens, die wir nicht wollten, mit Leid und Schmerz zu tun haben, entsteht sehr leicht die Frage nach dem Warum: Warum kann Gott so etwas zulassen, so etwas wollen? Er ist doch der Gott der Liebe. Hier wird unser Glaube zum Ernstfall und zur konkreten Herausforderung. Bin ich auch dann bereit, Ja zum Willen Gottes zu sagen, wenn mir dieser Wille gegen den Strich geht?
Louis Brisson ist ein Beispiel dafür, dass im Leben nicht alles genauso läuft, wie ich das gerne hätte. Und er ist ein Beispiel für einen Menschen, der sich dem Willen Gottes gebeugt hat, auch wenns ihm durchaus schwer fiel. Eine Biografie über ihn trägt den bezeichnenden Titel „Werkzeug der Vorsehung“. Genauso könnte man tatsächlich die Überschrift über sein Leben formulieren. Louis Brisson hat auf unterschiedlichste Weise erkannt, dass Gott sein Leben lenkt, dass dies nicht immer so geschah, wie er sich das vorstellte, dass er selbst ein Werkzeug ist, dessen sich Gott bedient, um seinen Willen in dieser Welt zu verwirklichen, und er hat erkannt, dass es trotz allem, trotz mancher Leiden und Schmerzen, die damit verbunden sind, gut und richtig ist, sich Gott und seinem Willen anzuvertrauen.
Den Oblaten des hl. Franz von Sales sagte er einmal: „Der hl. Franz von Sales bekannte sich nicht ausschließlich zur Buße, Predigttätigkeit oder Armut, sondern zur völligen Hingabe an den Willen Gottes. Nicht ‚Alles zur größeren Ehre Gottes’ war seine Devise, sondern: ‚Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden’. Das ist die Quintessenz seines Geistes, ist das Ziel, das wir erreichen müssen.“
Wie hat nun Louis Brisson den Willen Gottes konkret kennengelernt und in sein Leben übersetzt? Folgende Beispiele können uns anregen, selbst ein wenig darüber nachzudenken, wie Gott in meinem Leben wirkt und wie ich mit dieser Vaterunser-Bitte „Dein Wille geschehe“ umgehe.

Gottes Wille: Die Gründung der Oblaten
Louis Brisson war überhaupt nicht darauf vorbereitet, als er von der Heimsuchungsschwester Maria Salesia Chappuis darauf hingewiesen wurde, dass er derjenige Priester sei, den sich Gott dazu auserwählte, eine männliche Ordensgemeinschaft zu gründen, die das Leben und Werk des heiligen Franz von Sales in dieser Welt lebendig halten soll. Brisson hat das zunächst für das Hirngespinst einer frommen Frau gehalten, das man nicht ernst nehmen braucht, nicht einmal als unerklärliche Wunder geschahen. „Ich will nicht“, sagte Brisson am 25. Februar 1845, „nicht einmal dann, wenn mir Jesus Christus persönlich erscheinen würde.“ Ein bisschen erinnert diese Szene an den Apostel Thomas, der auch nicht an die Auferstehung glauben wollte, solange ihm Jesus nicht selbst dafür den Beweis liefert. Brisson selbst bekannte dann viele Jahre später, dass genau das wirklich eingetreten ist. Er sah Jesus Christus vor sich stehen und ihn mit strenger Miene anschauen. Es ist nicht so entscheidend, ob dieses Wunder tatsächlich geschah oder nicht, viel entscheidender ist, dass sich Brisson ab diesem Tag einverstanden erklärte, diesen Willen Gottes in seinem Leben zu erfüllen. Zehn Jahre vor seinem Tod wird Louis Brisson sagen:
„Mutter Chantal bat den hl. Franz von Sales, ein Priesterwerk ins Leben zu rufen: Bilden Sie doch Priester aus, die so sind wie Sie und die Ihren Geist bewahren. Dreihundert Jahre später sind wir gekommen, um diese Erbschaft anzutreten. Und wir sind genau zur richtigen Stunde gekommen.“

Gottes Wille: Die Zeichen der Zeit
Der Wille Gottes zeigt sich nicht nur in außergewöhnlichen Zeichen und Wundern. Viel mehr äußert er sich in den kleinen Dingen des Lebens, in den sogenannten „Zeichen der Zeit“. Diese Zeichen entdeckte Louis Brisson in der Arbeiterjugend, der er in seiner Stadt Troyes begegnete. Viele Jugendliche kamen damals vom Land in die Stadt, um in den dort neu entstehenden Fabriken Arbeit zu finden. Viele von ihnen, besonders die jungen Frauen, hatten allerdings kaum eine ordentliche Bleibe. Louis Brisson erkannte, dass Gott will, dass die Kirche sich genau hier auf besondere Weise engagiert. Er baute eine Reihe von Heimen, in denen die Arbeitermädchen nicht nur wohnen, sondern auch religiöse Bildung und Erziehung erhalten konnten. Auch dieses Ja zum Willen Gottes führte zu einer Ordensgründung: die Oblatinnen des hl. Franz von Sales, die Brisson zusammen mit der heiligen Leonie Franziska Salesia Aviat ins Leben rief. Später wird Brisson einmal sagen: „Wir sind heute für eine wichtige Mission auf dem Gebiet der Arbeit bestimmt, um den Arbeitern nahe zu sein und einen heilsamen Einfluss auf sie auszuüben.“

Gottes Wille: Meine Talente
Louis Brissons Hobby war die Naturwissenschaft und Technik. Sie faszinierte ihn nicht nur, sondern er setzte sie auch praktisch um. Er machte Erfindungen und konstruierte und baute viele seiner Gebäude selbst. Der Wille Gottes äußert sich auch in den Talenten und Fähigkeiten, die ich in mir entdecke. Diesem Willen Gottes hat sich Brisson sehr gerne gebeugt. Ein besonderes Meisterstück gelang ihm durch die Konstruktion einer astronomischen Uhr, die man noch heute im Kloster der Oblatinnen in Troyes bewundern kann. Sie hatte für Brissons sonstige Werke keinen sonderlichen Nutzen. Brisson selbst aber erkannte darin ein Bild des Wirkens Gottes in seiner Schöpfung. Er sagte: „Wisst ihr, warum ich diese Uhren mache? Weil sie ein Bildnis dessen wiedergeben, was Gott geschaffen hat. Je vollkommener das Uhrwerk, desto mehr ähnelt es der Schöpfung Gottes. Die Bewegungen der Erde und der Sterne bestimmen und begleiten unser Leben. Die Uhr tickt weiter, bis die Stunde angebrochen ist, in der wir diese Welt verlassen und in Gott aufgenommen werden, wo es keine Zeit mehr gibt. Ich arbeite gerne an einer solchen Uhr, für mich ist das entspannend und ich finde Gott darin wieder.“

Gottes Wille: Wenn alles verloren scheint
Das Leben Brissons dauerte über 90 Jahre. Die dunkelsten Stunden seines Lebens erlebte Brisson in seinen letzten 10 Lebensjahren. Die Kirchenfeindlichkeit des französischen Staates vernichtete sein gesamtes Werk, das er in Frankreich aufgebaut hatte. Seine beiden Ordensgründungen wurden gesetzlich aufgehoben. Jedes Heim, jede Schule wurde entweder geschlossen oder ging in staatlichen Besitz über. Brisson musste miterleben, was auch schon im Buch Ijob zu lesen ist: „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, gepriesen sei der Name des Herrn.“ Kurz vor seinem Tod wurde sogar noch sein Haus, in das er sich zurückgezogen hatte, öffentlich versteigert. Im Wissen, dass ihm wirklich alles genommen wurde, starb er. Heute wissen wir, dass sein Werk eben nicht verlorengegangen ist, sondern in den Oblatinnen und Oblaten des heiligen Franz von Sales sowohl in Frankreich als auch in vielen anderen Ländern dieser Welt existiert. Wahrscheinlich hat er diese Herausforderung des Willens Gottes gespürt, als er seinen Mitbrüdern sagte: „Heute möchte ich euch ein Wort der Hoffnung und Unterstützung sagen: der Unterstützung für die Gegenwart und der Hoffnung für die Zukunft. Oft und oft hat mir Mutter Salesia beteuert: Wenn alles verloren scheint, wenn man das Unterste nach oben kehrt und jeder die Hoffnung schon aufgegeben hat, wird der Herr seine Macht und seinen Einfluss zeigen. Dann müsse es jedem klar werden, dass allein in seinen Händen die Entscheidung liegt und wir Menschen nichts vermögen.“
„Dein Wille Geschehe – wie im Himmel so auf Erden.“ Am Leben Louis Brisson wird deutlich, dass Gott in dieser Welt tatsächlich wirkt, auch wenn wir selbst das oft nicht sehen und vor allem nicht immer verstehen können. Louis Brisson aber war trotz allem davon überzeugt, dass wir nicht verloren gehen werden, wenn wir diesen Gott nicht aus den Augen verlieren – auch wenns drunter und drüber geht. Hier erwies er sich als wahrer Schüler des hl. Franz von Sales, der in seinem Buch Philothea seine Überzeugung zum Ausdruck brachte, dass niemand verloren geht, der sich in allem an Gott und seinen liebenden Willen ausrichtet:
„Mag das Schiff diesen oder jenen Kurs nehmen, mag es nach Westen oder Osten, nach Süden oder Norden streben, mag dieser oder jener Wind es treiben, die Kompassnadel wird doch stets nach Norden zeigen. Mag nicht nur um uns herum, sondern auch in uns alles drunter und drüber gehen, mag unsere Seele traurig oder vergnügt und fröhlich, verbittert und unruhig oder friedlich, im Licht oder in der Finsternis der Versuchung, mag sie ruhig und voll Freude oder voll Ekel sein, in Trockenheit oder Seligkeit, mag die Sonne sie versengen oder der Tau sie erfrischen: immer soll unser Herz, unser Geist und der höhere Wille gleich der Kompassnadel unablässig auf die Gottesliebe als ihr einziges und höchstes Gut schauen und ausgerichtet sein.“ (Philothea 4. Teil, 13. Kapitel; DASal 1,239)

Verfasser: P. Herbert Winklehner

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Thema V: Menschen der Innerlichkeit sein

„Gebt mir 800 Männer, und ich werde die Welt verändern!“ Wenn ich diesen Satz von Mao Tse Tung hier zitiere, dann will ich den großen Führer der Chinesen damit keineswegs zum Kirchenlehrer erheben oder seine Untaten verherrlichen. Mao wusste, dass eine kleine Gruppe überzeugter Anhänger viel bewirken und die Welt verändern kann. Er hatte recht! Er hat die Welt in seinem Sinn verändert.
P. Brisson hatte eine ganz ähnliche Überzeugung. Er suchte Männer und Frauen, die von ihrer Sendung überzeugt waren. Zwei markante Sätze tauchen bei ihm immer wieder auf: „Seid Oblaten und seid es ganz; sonst seid ihr in Kirche vollkommen unnütz und überflüssig!“ Und in Bezug auf das Direktorium sagt er immer wieder: „Ohne Direktorium gibt es keine Oblaten. Da haben wir keine Daseinsberechtigung.“
Woher nimmt P. Brisson diese Sicherheit? Der Grund liegt wohl in jenem Ereignis im Sprechzimmer der Heimsuchung von Troyes am 24. Februar 1845. Was ist da geschehen? Abbé Brisson war ein frommer Priester, ja; er wollte der Kirche und den Menschen dienen. Aber seine Welt waren die Mathematik, die Naturwissenschaften und die Technik. Mit Freude erteilte er seinen Unterricht im Seminar. Er konstruierte die Astronomische Uhr, die wir heute noch im Mutterhaus der Oblatinnen in Troyes bewundern. Ja, er will den Willen Gottes erfüllen, aber nicht den Willen der Oberin! Wie der Apostel Thomas im Evangelium will er Beweise. Er will zuerst sehen und dann glauben und dann erst handeln! Wie Jesus bei Thomas im Evangelium so lässt Gott sich auf die Bedingungen ein, die Abbé Brisson stellt. Und der Abbé schraubt die Bedingungen immer höher! Da sind zunächst die 40 Franken, die er für die arme Witwe benötigt: er erhält sie. Dann sind es die lateinischen Sätze, die die etwas einfältige Fanny aufsagen soll: sie tut es! Aber er will sich dem Willen der Oberin nicht unterwerfen, und er sagt das klar heraus: „Niemals werde ich mich Ihrem Willen beugen, selbst wenn einer von den Toten aufersteht!“
Dann sieht er jemanden im Sprechzimmer stehen: er weiß, das ist Jesus, der von Toten auferstanden ist! Davon ist er zutiefst überzeugt, diese Begegnung mit Jesus prägt sein ganzes weiteres Leben. Jahrzehnte später lässt er auf seinem Andenkenbild zum Goldenen Priesterjubiläum die Worte des greisen Simeon in großen Buchstaben drucken: „Meine Augen haben gesehen das Heil, das du vor allen Völkern bereitet hast.“
Die Begegnung mit Jesus gibt P. Brisson die Gewissheit, dass der Wunsch der Oberin für ihn der Wille Gottes ist. Er ist bereit, zu tun, was sie von ihm erwartet. Aber was soll er tun? „Gott schweigt!“ Das ist die Antwort der Oberin. Es beginnt eine lange Zeit des Wartens. Gott schweigt fast 30 Jahre lang! Für den Abbé Brisson ist es eine Zeit der inneren Reifung: 30 Jahre lang macht er sein Noviziat bei der Guten Mutter Marie de Sales Chappuis! Es ist die Zeit, in der Abbé Brisson zum Pater Brisson wird, in der er vom Priester zum Ordensmann, zum Oblaten reift. Ob daher seine spätere Aussage stammt: „Es braucht 30 Jahre, bis man ein Oblate wird“?
In diesen Jahren geht P. Brisson in die Schule der Innerlichkeit auf dem salesianischen Weg. Dieser Weg heißt: das Geistliche Direktorium des hl. Franz von Sales. Was P. Brisson hier gelernt hat, gibt er dann an seine Mitbrüder weiter. Er hat es seinen Mitbrüdern geradezu eingehämmert: „Seid Menschen der Innerlichkeit! Seid Männer des Direktoriums! Steht auf dem Fundament Glaubens, ohne zu sehen! Habt Glaubensgeist!“ Das Direktorium leitet dazu an, die Dinge des Alltags in der Dimension Gottes zu sehen. Dann bekommt alles einen anderen Stellenwert: das Belanglose wird wertvoll, das scheinbar Wichtige wird bedeutungslos.
Das Direktorium enthält eine Fülle von Übungen, die den ganzen Tag bestimmen. Es sind äußere Übungen, die aber eine innere Grundhaltung bewirken sollen: die Verbundenheit mit Jesus in allen Lebenslagen. Vom Erwachen am Morgen bis zum Einschlafen am Abend und selbst beim Erwachen in der Nacht wird alles in Beziehung zu Gott gebracht. Es ist ein Weg, immer und überall bei Gott zu sein. Das heißt, Menschen der Innerlichkeit zu sein. aus dem Glauben zu leben, aus der lebendigen Beziehung zu Jesus. Der hl Franz von Sales möchte die Worte: „Vivat Jesus - Es lebe Jesus“ in unsere Herzen eingraben, so schreibt er in der Philothea. Dieses „Es lebe Jesus“ ist somit gleichsam die Zusammenfassung des Direktoriums. Daraus zieht P. Brisson die Direktive: „Alles leidenschaftlich gut tun“ oder: „legt euer ganzes Herz hinein in alles, was ihr tut.“ Das ist Sendung der Oblatinnen und der Oblaten heute! In einer Zeit des allgemeinen Glaubensschwundes ganz bewusst aus dem Glauben leben, damit Jesus in uns lebe.
Woraus schöpfte P. Brisson die Kraft zu diesem Leben aus dem Glauben? Es war die ständige Wiederholung der Begegnung mit Jesus in der hl. Eucharistie. Franz von Sales nennt die Eucharistie „die Sonne der geistlichen Übungen“. P. Brisson nennt sie „meine Atmosphäre, die Luft, von der ich lebe.“ Darum ist für ihn die hl. Messe das Zentrum seines geistlichen Lebens. Jeden Tag hat er sich in der Feier der Eucharistie die Kraft geholt für den Alltag. Die tägliche Feier bzw. Mitfeier der hl. Messe ist darum sein Auftrag an uns. Dazu kommt der vertraute Umgang mit Jesus im Altarssakrament, ein kurzer Besuch bei ihm im Tabernakel, wenn wir an der Kapelle vorbeikommen. P. Brisson hatte den Vorsatz und er hat ihn wohl auch verwirklicht: er will jede Stunde die geistige Kommunion empfangen!
Diese Verbundenheit mit Jesus hat eine Konsequenz, die dann aber wirklich die Welt verändert. Sie führt dazu, die Liebe zu leben, die Jesus uns vorgelebt hat. P. Brisson sagte, dass er eines an der Guten Mutter immer bewundert habe: er habe von ihr nie ein Wort gegen Liebe gehört und sie habe ihre Schwestern zur praktischen Nächstenliebe erzogen. Oft spricht P. Brisson in seinen Kapiteln und Vorträgen über die Übung der Nächstenliebe, und dabei wird er ganz konkret. Oft empfiehlt er den Schwestern, das Gelübde der Liebe zu machen, für einen Tag, für eine Woche, für einen Monat. In besonderen Situationen hat er es den Oblatinnen zur Pflicht gemacht, dieses Gelübde abzulegen. Hier haben wir ganz konkret die Möglichkeit, die Welt zu verändern, die Welt, die von soviel Hass und Zwietracht und Eigenliebe bestimmt ist.
Ein Letztes möchte ich noch kurz erwähnen, es ist P. Brissons Liebe zur Gottesmutter. Von Kindheit an brachte er ihr eine kindliche Verehrung entgegen. In der Pfarrkirche von Plancy erhielt er als Junge im Gebet vor der Statue der Gottesmutter erste Gewissheit über seine Berufung. Im Garten seines Hauses in Troyes steht heute noch die kleine Marienkapelle. Auf dem Weg vor dieser Kapelle hat er gerne den Rosenkranz gebetet. Eine ganz besondere Verehrung pflegte er zu „Unsere Lieben Frau vom Licht“. Wir alle brauchen das Licht der Gnade. Maria zeigt uns den Weg: offen sein für den Anruf Gottes, damit wir von seinem Licht erleuchtet sein Licht in Welt tragen.
P. Brisson zeigt uns auch heute einen Weg, und das könnte die Botschaft und der Auftrag dieses Tages für uns sein: die Innerlichkeit leben und im Glaubensgeist unseren Alltag gestalten, die Kraft dazu schöpfen aus der Eucharistie, die Nächstenliebe üben und die Liebe zur Gottesmutter pflegen.
Wir brauchen keine 800 Männer, um die Welt zu verändern, sondern nur einen: mich und meine Bereitschaft, mich auf diesen Weg einzulassen. Denn der einzige Punkt dieser Welt, den ich verändern kann, das bin ich selbst! Ich kann also heute anfangen, meine kleine Welt und damit auch die große Welt zu verändern!

Verfasser: P. Konrad Eßer

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